Aus dem kleinen ABC zum Markus-Evangelium: J - Jünger
- martinzoebeley
- 3. Juli 2022
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 2 Tagen

Jünger ist der im Deutschen übliche Begriff für die Schüler, die Jesus als ihren Lehrer ansehen. Weil seine Lehre auch an öffentlichen Plätzen angesiedelt ist, am Meer (von Galiläa, 2,13, 4,1ff), in den Dörfern bzw. Synagogen (1,21, 6,2, 6,6) oder im Heiligtum (von Jerusalem, 12,35), ist Schülerschaft von Nachfolge zu unterscheiden. Schülerinnen sind nicht oder nur implizit beteiligt.
Jesus wird oft als Lehrer angesprochen, auch von Akteuren, die ihm nicht nachfolgen. Dieser Titel ist der häufigste von allen, trifft aber situativ nicht immer zu (vgl. 4,38) Rabbi wird Jesus an dazu unpassenden Stellen nur von Petros und Judas genannt (9,5; 11,21; 14,45), dem Ersten und dem Letzten der sog. Zwölf. Die sind nach heutigem Sprachgebrauch mit den Jüngern bzw. mit den Aposteln identisch.
Schüler folgen Jesus in unbestimmt hoher Zahl nach (2,15), sind aber nicht bereit oder in der Lage, seine Lehre sich zu eigen zu machen (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markusevangelium-l-lehre).
Inhaltlich zählt dazu vor allem die Offenheit für die Völkerchristen (παιδία, 9,36f, vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-k-kinder) sowie die Bereitschaft zur Kreuzesnachfolge (vgl. 8,31ff).
Verglichen werden die Schüler mit denen des Johannes und der Pharisäer, die im Unterschied zu ihnen jüdische Fastengebote einhalten (2,18). Die Schüler des Johannes übernehmen nach dessen Tod die Aufgabe der Bestattung (6,29), ebenfalls im Unterschied zu den Schülern Jesu, die vor seinem Tod alle geflohen sind.
Von den Schülern nicht eindeutig zu trennen ist die von Jesus eingesetzte Gruppe der Zwölf (3,14f). Unausgesprochen könnte sie für das Neue Israel stehen; bei Mk repräsentiert sie die führende Gruppe der Judäochristen, die zunehmend in Kontakt kommen mit Nichtjuden, auf der Handlungs-Ebene mit Griechen (vgl. 7,26), auf der Deutungs-Ebene mit den Völkerchristen.
Das wirft Fragen nach der Geltung der Tora auf sowie nach dem Apostelstatus der Schüler. Beides wird von Jesus in Frage gestellt (2,28; 7,19; bzw. 1,38 u.ö.).
Bevor Mk den Begriff der Schüler unauffällig einführt (2,15, vgl. Bild oben), nimmt er einen besonderen Nachfolger in den Blick. Dessen Name Levi (von לוה lwh Nif., anschließen) weist ihn als Ideal eines jüdischen Nachfolgers aus. Er sitzt an der Grenz-Station und gehorcht dem Ruf Jesu, indem er nichts weiter tut als aufzustehen und ihm nachzufolgen (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wer-war-der-levi-des-mk).
Damit scheint in der Nachfolge diese Grenze (sc. zwischen Judäo- und Völkerchristen) gegenstandslos zu werden. Da er als Sohn des Alphaios vorgestellt wird, entsteht über das lateinische (!) Alphabet eine Opposition zu den beiden Zebedaios-Söhnen (vgl. 1,19), die an dieser Grenze festzuhalten scheinen.
Der Ruf an Levi ist auf die Befehle an die ersten beiden Brüderpaare rückbezogen (1,17ff). Wieder geht Jesus (sc. am Meer) entlang, wo er Levi sieht, bevor er ihn zur Nachfolge auffordert (2,14). Was Levi in diesem Moment sieht, ist ebenso ohne Belang wie sein weiteres Ergehen. So ist es ausschließlich Jesus, dessen Sehen jeweils zum Kontakt und ggf. zur Nachfolge führt.
Die Grenze des Levi scheint hier für jüdische bzw. judäochristliche Abgrenzungs-Vorschriften zu stehen. Daher folgt auf den Ruf ein gemeinsames Zu-Tisch-Liegen mit kultisch reinen und unreinen Juden in seinem Haus (2,15).
Noch ist die Frage der Unreinheit ein innerjüdisches Thema, das von den Schreibern der Pharisäer nur benannt, nicht aber beanstandet wird (2,16). Eine Gruppe von Pharisäern und Schreibern ist es, die später den Schülern ihr Essen mit unreinen Händen vorwirft und damit den Bruch mit der jüdischen Tradition (7,5). Zu spät, angesichts ihrer früheren Praxis des gemeinsamen Essens.
Als Problem der Schüler gilt im Markus-Evangelium ihre Uneinsichtigkeit, das sog. Jünger-Unverständnis. Tatsächlich sind Lern-Fortschritte bei ihnen nicht zu beobachten. Wichtiges muss Jesus ihnen zweimal erklären, und selbst dann bleibt der Lernerfolg fraglich.
So zeigt etwa die Einleitung zur zweiten Speisungserzählung (8,4), genauer: zur (geistlichen) Sättigung von 4000 Menschen, dass sie nichts gelernt haben über ihren guten Hirten Jesus (vgl. 6,39), geschweige denn über die Bedeutung des Brotes.
Bis zuletzt erkennen sie nicht, wofür das Brot symbolhaft steht: Für Jesus selbst und damit für seine Sichtbarkeit in der Mahlfeier. Die erste Generation (von Juden), die Jesus leibhaftig hören und sehen konnte, hat daher keinerlei Erkenntnisvorteile gegenüber späteren Generationen, denen Jesus im Brot der Mahlfeier begegnet (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-e-essen).
Im Gegenteil: Ihre Unfähigkeit, Jesus zu erkennen, macht er ihnen mit einem alttestamentlich-prophetischen Bild zum Vorwurf: Ihr Herz sei versteinert (nicht nur verstockt oder verhärtet, 8,17; vgl. 6,52). Der Vorwurf greift die Kritik der Propheten an Israel auf (vgl. Jer 3,17 u.ö.) und überbietet sie.
Sprachlich verweist er auf den Tuffstein, der im Römischen Reich als Baumaterial beim Hausbau verwendet wurde. So kann das Tuffstein-Herz der Schüler zwar ein neues Gebäude begründen (sogar ein neues Heiligtum, vgl. 13,1), hat zugleich aber zur Folge, dass sie uneinsichtig sind und Jesus nicht erkennen (denn ihr Herz war vertuffsteinert, 6,52).
Dieser Verweis auf das eine versteinerte Herz ist zugleich eine Anspielung auf Petros, der als Simon eingeführt wird. Den bildhaften Stein-Namen lädt Jesus ihm kommentarlos auf (3,16), ohne ihn selbst zu verwenden (vgl. 14,37).
Der möglicherweise abwertend konnotierte Name Petros (für aramäisch Kefa, Stein, Edelstein) bezeichnet den einzelnen Felsbrocken, der in unbehauener Form für Bauwerke so ungeeignet ist wie ein ungewalkter Lappen für einen Riss in einem alten Mantel (wörtlich: Aufsatz), der die Spaltung (Schisma) nur vergrößert (2,21).
Petros tritt als Wortführer der Zwölf auf, vor allem aber in eigener Sache. Allerdings ist der Wahrheitsgehalt seiner insgesamt sieben Redebeiträge überaus fraglich (8,29; 9,5; 10,28; 11,21; 14,29; 14,68; 14,71). Was er sagt, ist aus der Perspektive des Erzählers bestenfalls richtig und falsch zugleich.
Damit entspricht Petros den Unreinen Geistern, die vor der Berufung der Zwölf und im Unterschied zu ihnen Jesus die Ehre erweisen und ihn lautstark als Sohn Gottes bekennen (3,11).
Als Schüler scheint Petros am Ende auszuscheiden; nach seinen Verleugnungen, genauer: nach seiner ultimativen Apostasie (vgl. 14,71) wird er ausdrücklich separat genannt, unabhängig von den Schülern (16,7).
Die Zwölf, die Jesus willkürlich herbeiruft (3,13ff), werden als potentielle Apostel eingeführt, wobei Mk diese Bezeichnung für sie bewusst vermeidet (eine Ausnahme ist in 6,30 ). Als solche, implizit auch als Führungselite der Judäochristen, werden sie von Mk in Frage gestellt dadurch, dass sie genau das nicht tun, wozu Jesus sie jeweils beauftragt (6,7; 9,35).
Mit ihren griechischen Namen (Andreas, Philippos) und einem pseudoägyptischen (Bartholomaios) stehen sie für die Verheißung eines Neues Israel aus Juden und Nichtjuden, aus den Völkern also, die am Zion die Herrlichkeit Gottes sehen werden (vgl. Jes 66,18).
Führend neben Petros sind Jakobos und Johannes, die beiden Söhne des Zebedaios, deren Ruf in den Tod nur angedeutet wird (1,19). Ihnen lädt Jesus den pseudo-aramäischen Beinamen boanerges auf, der als Donnersöhne wiedergegeben wird.
Mit ihrer dreisten Bitte um die Ehrenplätze neben Jesus fordern sie einen endzeitlichen Lohn für ihre Nachfolge (10,37), ignorieren damit aber die Lehre Jesu (9,35) sowie den Namen ihres Vaters Zebedaios (von hebr. זבד sbd, schenken). Schließlich lösen sie auch den Ärger der übrigen Zehn aus (10,41), die zu spät und erst im Nachhinein darauf reagieren.
Jesus lehnt ihren Anspruch ab: Anderen ist es bereitet (sic! 10,40). Als Märtyrer und Nachfolger Jesu in den Tod bleiben sie dennoch ohne den von ihnen geforderten Lohn, zumal Jesus selbst auf dem Ehrenplatz sitzen wird (14,62). Vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-in-der-bibel-fehler-der-vulgata-4-1
Obwohl einige Jesus nicht nachfolgen, können sie wie Joseph von Arimathaia doch Wichtiges von ihm lernen. Sein fiktiver Herkunfts-Ort (ein Wortspiel, auf Deutsch etwa Joseph von Bestschülau) weist ihn als besten Schüler aus. Er ist der einzige, der Jesus die letzte Ehre einer Bestattung erweist, da alle geflohen sind und ihn nicht bestatten (vgl. 6,29; Vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wer-war-joseph-von-arimathaia).
Beides macht ihn zum besten Schüler: Dass er, der elegante Ratsherr, auf das Königtum Gottes wartet und um den Leib Jesu bittet (sic! 15,43). Da er aber nur die Leiche geschenkt bekommt (sic!), legt er sie in ein Gedächtnisgrab aus einem behauenen Felsen.
Dieser auf Petros anspielende Ort ist freilich der falsche für die Begegnung mit dem Auferstandenen. Das hat selbst der beste Schüler nicht gelernt: Dass nicht Jesus als Lehrer, sondern dessen Leib ihm im Brot der Mahlfeier das Königtum Gottes eröffnet (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/ceterum-censeo-was-bedeutet-das-sog-reich-gottes).
Vergleichbar den Schülern sind diejenigen, die Jesus begegnen, aber wie sie lernunwillig oder -unfähig sind. Zu Ihnen zählt ein hoffnungslos Besessener, der sich selbst und ohne Auftrag zum Apostel macht (5,1ff, eine Satire auf Paulus; vgl.
oder auch jener Eine, den Jesus ohne einen eindeutigen Grund liebt (10,21).
Ihm entspricht Judas Iskarioth, der Eine der Zwölf, der Jesus liebt (sic! 14,44). Judas folgt damit der Tora wie auch der Lehre Jesu zur Gottes- bzw. Nächstenliebe (12,30f), hat aber Entscheidendes nicht gelernt, wenn er Jesus den Oberpriestern und damit dem Heiligtum überliefern will (14,10). Von Verrat kann jedenfalls keine Rede sein (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/judas-ein-verräter).
Tatsächlich leitet Judas eine Überlieferungskette ein, die Jesus ans Kreuz führt. Dafür wird ihm, dem Knecht der Oberpriester, ein Öhrchen abgeschlagen (14,67), möglicherweise sinnbildlich für die Unfähigkeit der Zwölf, auf Jesus als den Sohn Gottes zu hören. Demnach muss für den Menschen Jesus das andere Öhrchen genügen.
Die wahren Schüler des Markus-Evangeliums sind nicht unter den Akteuren zu finden, auch nicht unter den Frauen, die nach der Kreuzigung als (zu Tisch) dienende Nachfolgerinnen eingeführt werden (15,40f), aber ebenfalls fliehen (16,8).
Die wahren Schüler sind die Leser:innen, die bereit sind, den Ruf Jesu zu hören, ihn als ihren Herrn im Mahl zu erkennen und ihm - trotz möglicher Bedrängnisse - selbstlos in den Tod nachzufolgen.
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