Ceterum censeo: Was bedeutet das sog. Reich Gottes?
- martinzoebeley
- vor 3 Tagen
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Aktualisiert: vor 2 Tagen

Aus Gründen, die noch zu benennen sein werden, halte ich es für falsch, wenn in der akademischen oder der kirchlichen Theologie…
…das Reich Gottes als die zentrale Botschaft Jesu bezeichnet wird.
„Jesus verkündete das Reich Gottes, und gekommen ist die Kirche.“ Die alte Pointe des französischen Modernisten Alfred Loisy setzt voraus, was hier anhand von Mk überprüft werden soll. Hat Jesus tatsächlich das Reich Gottes verkündet? Und wenn ja, was könnte er damit gemeint haben?
Verglichen mit den jüdischen Schriften findet sich in den ersten christlichen weit häufiger das Syntagma basileia tou theou, das im Deutschen traditionell mit Reich Gottes wiedergegeben wird. Daraus wurde der naheliegende Schluss gezogen, dass das auf die Verkündigung des historischen Jesus zurückzuführen sei.
Beides ist fragwürdig, sowohl die Schlussfolgerung, wie auch die traditionelle Übersetzung mit Reich Gottes. Inzwischen besteht ein weitgehender Konsens darüber, dass von einem statischen Reich, das räumlich zu verstehen wäre, im Zusammenhang mit Gott kaum die Rede sein kann.
Im Deutschen ist allerdings die Bitte um ein kommendes (himmlisches) Reich durch das Vaterunser tief im religiösen Denken verwurzelt (Mt 6,10; Lk 11,3). Umso wichtiger ist es, den Begriff der basileia sachgerecht zu verstehen. Übrigens: Loisy hatte auf Französisch von einem royaume gesprochen, von einem Königreich (vgl. das regnum der Vulgata).
So bedeutet basileia in erster Linie Königsherrschaft. Gleichwohl kann damit ein räumlich-geographischer Aspekt verbunden sein, etwa durch den Machtbereich der Königsherrschaft. Wichtiger noch ist der soziologische oder soziokulturelle Aspekt – wegen der Menschen, die diesem Machtbereich angehören.
Zunächst beschreibt der Begriff jedoch die – beide Aspekte voraussetzende – Königswürde, die schon in den Schriften Israels vielfach auf Gott bezogen worden war. Besonders in den kultischen Gesängen der Psalmen ist die Formel Gott ist (bzw. wird) König geläufig (vgl. auch Jes 52,7). Trotzdem ist von einem Königtum Gottes (bzw. LXX: basileia tou theou) im Tanach äußerst selten die Rede.
Anders bei den Synoptikern: Hier wird die Formel mit über 70 Belegen geradezu inflationär verwendet. Das deutet auf ihre besondere Bedeutung in der synoptischen Tradition hin; einen Rückschluss auf Jesus, auf das Zentrum seiner Botschaft, erlaubt das nicht.
Zu den Belegen noch hinzuzuzählen ist das Königtum der Himmel, das Matthäus regelmäßig verwendet, ersatzweise auch dort, wo Mk zuvor vom Königtum Gottes gesprochen hatte. Dieser Ersatz, der einer jüdischen Scheu vor dem Gottesnamen entsprechen mag, hat im Deutschen zum vertraut klingenden, von Gott abgelösten Begriff Himmelreich geführt.
Bei Paulus ist im Lexem des Herrschens (βασιλεύειν) Gottes die futurische Perspektive erkennbar, insbesondere bei der Mahnung, dass unter bestimmten Voraussetzungen das Königtum nicht geerbt werden könne (vgl. 1 Kor 6,9f; 15,50; Gal 5,21). Im Umkehrschluss bedeutet das, dass es grundsätzlich möglich ist, an der endzeitlichen Macht Gottes bzw. Christi teilzuhaben (vgl. Röm 5,17).
Gegen diese eschatologische Perspektive, die der jüdischen Tradition folgt, richtet Mk den ersten Satz, den er programmatisch seinem Jesus in den Mund legt. Die Zeit (kairos) ist erfüllt (1,15; im Perfekt). Das ist keine Verheißung auf eine ferne oder gar äußerste Zukunft, sondern deren Erfüllung. Für Mk ist der Moment bereits da, dass die Königsherrschaft Gottes nahegekommen ist (ebenfalls im Perfekt).
Gegen die verbreitete eschatologische Deutung der Königsherrschaft Gottes spricht zudem die Tatsache, dass in der ausführlichen Endzeit-Rede Jesu (Mk 13) davon nicht die Rede ist. Das entzieht dem beliebten Narrativ den Boden, mit Jesus sei das Reich Gottes auf Erden nur angebrochen.
Jedenfalls zeigt sich, dass es Mk eben nicht um ein dereinst vollendetes Reich geht, sondern um die mit königlichen Attributen vorgestellte Macht Gottes. Dreierlei sagt Mk nicht ausdrücklich dazu:
- Dass diese Königsherrschaft mit der Person Jesu nahegekommen ist.
- Dass es konkrete Bedingungen gibt für die Zugehörigkeit zu diesem Königtum.
- Dass einige, auch Völkerchristen, seinem Machtbereich angehören, andere nicht.
Geht man mit der Grund-These dieses Blogs davon aus, dass Mk den Christus-Titel des Petros ablehnt, so steht das Königtum Gottes zu ihm in bewusster Opposition. Jesus ist eben kein Christus, kein jüdischer Provinzkönig wie Herodes, er ist der designierte Herrscher der Welt, der die universale Macht des (einen) Gottes mit ihm teilen oder von ihm erben wird.
Mit dieser hoheitlichen Destination ist auch eine futurische Perspektive vorgegeben, die gleichwohl von keinem der Akteure zur Sprache gebracht wird. War die erste Generation der Judäochristen wegen des 1. Gebots nicht bereit, die Fülle der Macht Jesu anzuerkennen, so sind es mit Mk die Völkerchristen (bzw. seine Rezipient:innen), die eben dadurch dem Königtum angehören können.
Aus diesem Grund stellt Mk den Königstitel in Form der basileia tou theou so betont an den Anfang des Auftretens Jesu. Insofern ist er auch nicht das Thema des historischen Jesus, sondern des Mk, der damit implizit die Deutung anbietet, dass Jesus bald als universal regierender König herrschen werde. Schwer vorstellbar, Jesus selbst habe das so gesagt.
Noch etwas gehört grundsätzlich zum Konzept der Königsherrschaft dazu: Ihre offizielle Anerkennung. Die Bestätigung der universalen Königswürde bleibt wegen des Mangels an Erkenntnis aus, obwohl Jesus offensichtlich in der Vollmacht Gottes bereit ist, Sünden zu erlassen, Stürme zu stillen oder Tot-Gesagte aufzuwecken.
Das Fehlen der Anerkennung ist das Problem der judäochristlichen Schüler Jesu, die am Christus-Titel festhalten. So ist es bezeichnend, dass Mk seinen Jesus im Heiligtum leer ausgehen und nur umherblicken lässt (11,11). Dass eine kostspielige Salbung zwar zum Christus-Titel führt, jedoch nur sein Begräbnis vorbereitet (14,8). Oder dass ein Joseph auf das Königtum Gottes wartet und den Leib Jesu erbittet, dann aber nur seine Leiche geschenkt bekommt (15,43ff).
Bei Mk besteht die Spannung also nicht in einem angeblichen Messias-Geheimnis, in einem Konzept von Verhüllung und Offenbarung, sondern im Kontrast dieser nicht anerkannten Königswürde zu seiner Ohnmacht als Mensch, die gleichwohl die Folge der fehlenden Anerkennung als Gott ist (vgl. 6,5).
Fragwürdig ist es schließlich auch, bei Mk von einer anbrechenden Königsherrschaft zu sprechen. So verbreitet diese Formel in Theologie und Kirche auch sein mag, für Mk trägt sie schon deshalb nichts aus, weil die universale Herrschaft Jesu nicht erst klein beginnt. Die Rätsel-Rede, auf der das Missverständnis basiert, thematisiert Fragen der Zugehörigkeit.
Was tatsächlich beginnt, ist ein zeichenhaftes Wachstum, das schließlich zu jenem Brot führt, in dem Jesus sich universal zu erkennen gibt (14,22). Das ist es, was unausgesprochen im Zentrum des Mk steht: Schmeckt und seht, dass Chrestus der Herr ist (Ps 34,9, nach LXX 33,9 vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-e-essen).
Offen bleibt freilich, wieviel das mit dem historischen Jesus zu tun haben kann.
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