top of page

Aus dem kleinen ABC zum Markus-Evangelium: W – Weg

Aktualisiert: vor 4 Stunden

ree

In diesem Beitrag wird das Lemma Weg und dessen Bedeutung bei Mk in den Blick genommen. Dazu dient zunächst eine kurzgefasste Übersicht über die wichtigsten Deutungs-Möglichkeiten und -Traditionen.


1. Das Bedeutungsspektrum des griechischen Worts hodos (ὁδὸς) entspricht weitgehend dem des deutschen Begriffs Weg. In übertragenem Sinn kann es Lebenswege, Reisen oder Feldzüge beschreiben, Methoden oder Verhaltensweisen, auch Gruppen oder Parteiungen.


Letzteres ist in der Apostelgeschichte belegt. In Act 19,9 scheint der Weg auf eine Selbstbezeichnung von Christen hinzuweisen und damit auf einen Abgrenzungsbegriff.


2. In den mutmaßlich authentischen Briefen des Paulus ist gelegentlich von Wegen die Rede, von falschen wie auch von seinen eigenen, nicht aber von einem Weg, den Jesus in Israel gegangen wäre. Paulus nimmt also keinen Bezug auf ein tatsächliches Unterwegs-Sein Jesu.


Das wirft ein Licht auf die literarische Funktion des Weg-Motivs bei Mk. Offenbar ist er der Erste, der darauf zurückgreift, um es seiner Jesus-Erzählung zugrundezulegen.


3. Meist wird der Weg als eine konkrete Strecke verstanden, die Jesus mit seinen Schülern zurückgelegt habe. Daraus wurde gefolgert, er sei als Wanderprediger unterwegs gewesen. Außerdem sei er mit der Geographie Israels nicht ausreichend vertraut gewesen.


Tatsächlich beschreibt der Weg bei Mk keine Reiseroute. Die geographischen Angaben lassen sich zwar mit Mühe in einen mehr oder minder plausiblen Zusammenhang bringen, fungieren aber als für sich stehende bedeutungstragende Textsignale (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-n-namen).


4. In seinen übertragenen Bedeutungen ist der Weg als ein polyvalentes Symbol a priori uneindeutig. Das macht es nahezu unmöglich, verbindliche Aussagen zu treffen, die über bloße Spekulationen hinausgehen.


Bei genauerer Betrachtung legt der Text jedoch einen Bedeutungsrahmen nahe, der über jüdische Deutungs-Traditionen sich erschließen lässt.


5. Die übertragenen Bedeutungen im NT entsprechen denen der jüdischen Schriften, wobei dort zusätzlich zu den bereits genannten noch weitere Aspekte bemerkenswert sind. Der Begriff kann Bewegung zum Ausdruck bringen, die Richtung bezeichnen und darüber hinaus die Gesamtheit der Weisungen Gottes, die Tora.


Ein derart ethisch aufgeladener Weg-Begriff ist kein Spezifikum der antiken Judenheit. Er ist allerdings prägend für die Entstehungsgeschichte ihrer Literatur. Der Weg, den Gott selbst geht, ist maßgeblich für den Lebenswandel seines Volks Israel.


6. Nach jüdischer Tradition gilt dieser Weg, den die Tora vorgibt, als der gerade, der richtige, seine Nichtbeachtung aber als der falsche, als ein Weg, der von Gottes Wort abweicht und ins Verderben führt. Dese Eindeutigkeit schließt die Option aus, es könne zwei Wege zur Auswahl geben.


Das Zwei-Wege-Schema nimmt in der griechischen Literatur weiten Raum ein. Bei Mk schimmert es ein einziges Mal durch, nämlich dort, wo zwei Schüler sich am Scheideweg befinden, an der Tür, draußen (vgl. 11,4.). In deutschen Übersetzungen ist der Hintersinn der eigentümlichen Ortsangabe nicht zu erkennen.


7. Mit dem Wandel auf dem richtigen Weg ist die Frage der Tora-Treue verbunden. Dem entspricht bei Mk der Begriff der Nachfolge, der den Gehorsam gegenüber Jesus umfasst. Insofern lässt die Nachfolge auf dem Weg (vgl. 10,52) sich als Kreuzes-Nachfolge verstehen, ohne dass damit der Weg als solcher schon hinreichend qualifiziert wäre.


8. Einer umstrittenen Theorie zufolge kann der Weg als Leitbegriff für die gesamte Erzählung des Mk verstanden werden. Dem widerspricht allerdings deren hintergründige Symbolik, denn der Text ist, wie gesagt, kein historischer Reisebericht, anders als der des Lukas.


Das Kreuz gilt allgemein als das Ziel des Weges Jesu. Allerdings ist schon in der Passionsgeschichte von seinem Weg keine Rede mehr, weshalb ein Kreuzweg in Jerusalem, eine via dolorosa, sich mit Mk nicht begründen lässt.


Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob die verschiedenen, je changierenden Konnotationen des Weg-Begriffs bei Mk überhaupt auf einen Nenner zu bringen sind. Nach einigen, weiter einführenden Beobachtungen soll ein Durchgang durch den Text darüber Aufschluss geben.


Der Begriff wird insgesamt 16-mal genannt, wobei zwei Komposita mitgezählt sind. Im ersten Fall handelt es sich um das textkritisch unklare Weg-Bereiten von Schülern (2,23), im zweiten um den bereits erwähnten Scheideweg (11,4).


Bemerkenswert ist die ausschließliche Verwendung von Singular-Formen. Im Anschluss an die jüdische Tradition scheint es bei Jesus nur einen einzigen Weg zu geben. Davon ausgenommen ist das Synonym Pfad (τριβος, 1,3, vgl. Bild), das im Parallelismus des Jesaja-Zitats auf eine Mehrzahl der zu bereitenden Wege des Herrn hinweist.


Es liegt nahe, dass im Kontext des Begriffs jeweils Ausdrücke der Bewegung stehen. Dazu zählen das in seiner Bedeutung unterschiedliche Herauskommen bzw. Herausgehen (8,27; 10,17.46), das Hinaufgehen (nach Jerusalem, 10,46) sowie das Nachfolgen (10,52). Einleitend ist im Rückgriff auf die jüdische Prophetie von der Weg-Bereitung die Rede (1,2f).


So gibt es auch die absolute Verwendung des Weg-Begriffs, unabhängig von jeder Lokalisierung oder Fortbewegung. Das ist etwa in der Rätsel-Rede der Fall (4,4), wo der Weg als Boden problematisch ist, auf der Bildebene für die Aussaat, auf der Deutungsebene für die Verkündigung Jesu.


Unterschiedliche Aspekte werden auch durch je unterschiedliche Präpositionen oder die Verwendung eines Artikels zum Ausdruck gebracht. Da heißt es etwa neben den Weg (4,4.15; 10,46), zu einem Weg (6,8; 10,17), in den Weg (11,8) sowie vor allem in dem Weg (8,3 u.ö.).


Die dafür in deutschen Übersetzungen übliche adverbiale Wendung unterwegs ist insofern fragwürdig, als sie jede symbolische Konnotation des Weg-Begriffs ausblendet. –


Prägend ist das Motiv schon in der Exposition des Mk. In der eröffnenden Zitatkette wird es zweimal an betonter Stelle genannt (1,2.3), zuerst in der Verheißung, dass ein Bote deinen Weg bereiten wird, wobei offen ist, wer mit dem Boten gemeint und wer damit angesprochen ist.


Entgegen der üblichen Auslegungs-Tradition dürfte Jesus selbst der Bote sein, der im Auftrag Gottes deinen Weg (d.h. den Weg der Rezipient:innen) bereitet. Erst in der Version des Matthäus ist der Auftrag ausschließlich an Johannes d.T. gerichtet, der den Weg für Jesus bereiten soll (vgl. Mt 11,7ff).


Mit dem zweiten Zitat fordert er, der Rufende in der Wüste, die Weg-Bereitung für den Herrn, – nach jüdischem Verständnis also für Gott. Schon die gegenüber Jesaja geringfügig veränderte Zitierweise lässt ahnen, dass der Ruf des Johannes in der Wüste ungehört verhallt und daher folgenlos bleibt.


Beiden Zitaten ist ihre Herkunft aus den prophetischen Schriften gemeinsam (Mal 3,1, Jes 40,3). Den Weg Jesu lässt Mk also im Anschluss an den Weg Israels (vgl. Ex 23,20) mit jüdischen Verheißungen beginnen, in deren Tradition er den prophetisch auftretenden Johannes d.T. stellt (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wer-war-johannes-der-täufer).


Zur eigenwilligen Weg-Bereitung der Schüler Jesu in 2,23 liegt bereits ein Blog-Beitrag vor. (https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-in-der-bibel-2-23-jesus-ging-durch-kornfelder). Die judäochristlichen Schüler folgen Jesus nicht durch die Saaten nach, sondern beginnen, sich selbst einen Weg zu bahnen, wobei sie Ähren abrupfen. Mit minimalem Aufwand wird hier weit mehr als ein bloßes Sabbat-Problem angedeutet.


Die fatale Rolle der Schüler wird in den Rätseln der ersten großen Rede Jesu angedeutet. Das Saatgut des Säenden fällt im ersten Rätsel zuerst neben den Weg (παρα την οδον). Auf der Bildebene ist das insofern ein Problem, als es dort von den Vögeln gefressen (4,4) bzw. vom Satan weggenommen (4,15) wird.


Das rätselhafte Bild wäre stimmiger, würde das Saatgut einfach auf den Weg fallen. Diese ungewöhnliche Formulierung, die im NT nur in der Evangelien-Literatur, in LXX einzig in Dtn 2,8 belegt ist, lässt bei Mk eine besondere Aussage-Absicht vermuten.


Möglicherweise bezieht die Formulierung sich auf eine christliche Gruppierung, die das ursprünglich nicht für sie bestimmte Wort aufnimmt, bevor es vom Satan (Petros, vgl. 8,33) weggenommen wird (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markusevangelium-r-rätsel).


Auch bei späteren Nennungen des Motivs, bei denen die Schüler ins Blickfeld gerückt werden, ist es optional auf ein Kollektiv zu beziehen. Zunächst sind es die Zwölf, die nur einen Stab, in ironischer Lesart nur ein Szepter, zu einem Weg wegtragen sollen – und sonst nichts (6,8; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-der-aussendung-der-zwölf-mk-6-7-13).


Bei den nächsten Stellen mit dem Weg-Motiv wird in deutschen Übersetzungen meist das Syntagma „auf dem Weg“ oder auch „unterwegs“ gebraucht. Das entspricht dann nicht dem griechischen Text, wenn er mit der Präposition in bzw. im (εν τη οδω) auf eine christliche Gruppierung anspielt - oder sogar auf eine Partei dieses Namens.


So wendet Jesus sich aus Erbarmen den Hungernden zu (8,1ff), gegen den Willen seiner Schüler, die aus der ersten Sättigungsgeschichte offenbar nichts gelernt hatten (vgl. 6,34ff). Seine Sorge, dass diejenigen, die von weit hergekommen sind, in dem Weg verschmachten, verweist also auf judäochristliche Gruppierung, in der sie als Völkerchristen nicht versorgt werden.


Die Schüler sind es dann auch, denen Jesus mit den drei sog. Leidens-Weissagungen sein weiteres Ergehen prophezeit. Auf die Weise kommen mit dem (Leidens)-Weg Jesu nach und nach die Gründe dafür in den Blick.


Zu ihnen zählt an erster Stelle die Messias-Behauptung des Petros, die auf eine Frage Jesu in dem Weg reagiert (8,27). Die einleitende Formulierung zeigt, dass es sich dabei nicht um ein lokales Geschehen in den Vororten von Cäsarea Philippi handeln kann. Denn Jesus und seine Schüler sind bereits dorthin herausgegangen, bevor er sie zweimal fragt, wer er sei.


Dass er das ausdrücklich in dem Weg tut, deutet darauf hin, dass er es in ihrer judäochristlichen Gruppierung tut. Ihre Antworten referieren deshalb eine entsprechend beschränkte Perspektive, die durch den judäochristlich geprägten Christus-Titel auf die Spitze getrieben wird (8,29).


In unmittelbarem Anschluss an die zweite Leidens-Weissagung fragt Jesus eine nicht näher beschriebene Gruppe, was sie in dem Weg besprochen hätten (9,33). Was sie daraufhin schamhaft verschweigen, wird durch den auktorialen Erzähler offen gelegt. Ihr Thema war die gegenseitige Konkurrenz, die vom Jesus des Mk durchschaut und in einem Lehrgespräch abgelehnt wird (9,35).


Die hier narrativ unnötige Wiederholung der Wendung in dem Weg (9,34) betont deren übertragene Bedeutung. Das legt die Deutung nahe, dass diese Gruppe als Partei des größtmöglichen Erfolgs nur dem Weg der Macht folgen will. –


Auf einen (anderen) Weg herausgegangen ist Jesus, wo ihm der namenlose Eine begegnet (10,17), mit dem er ein Schulgespräch über das Ewige Leben, den Besitz und die Gebote führt. Sowohl deren eigenwillige Auswahl, als auch der Gesprächsverlauf zeigen, dass es ihm, dem Jesus des Mk, nicht auf den Dekalog ankommt, sondern auf die Nachfolge (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-des-einen-mk-10-17ff).


Das ist insofern bemerkenswert, als damit der Weg-Begriff, der in jüdischer bzw. judäochristlicher Tradition für die Tora-Treue gestanden war, umgedeutet wird durch ein auf Jesus bezogenes Verhalten. Diese spezifische Form von Nachfolge setzt seine Machtkritik voraus und damit auch die Bereitschaft zu Selbst-Verleugnung und Martyrium, die bei den (Leidens-)Weg-Stellen anklingt.


Die dritte Leidens-Weissagung wird in dem Weg vorbereitet, den Jesus in wörtlicher Übersetzung vorangeht, hinaufgehend nach Jerusalem (10,32). In übertragenem Sinn bezeichnet die Wendung in dem Weg die judäochristliche Gruppierung und das Vorangehen Jesu deren Vorladung (zum Gericht, vgl. 16,7; siehe auch https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-der-auferstehung).


Der Sinn der kryptischen Rede-Einleitung erschließt sich in der übertragenen Bedeutung sowie durch die Kontrastierung zweier Gruppen. Die Zwölf wundern sich über die angedeutete Gerichtsandrohung, die Nachfolgenden aber nehmen den Ernst der Situation wahr; sie erschrecken.


Der blinde Bettler Bartimaios sitzt erst neben dem Weg (10,46; vgl. 4,4.15), bevor er seinen Mantel wegwirft und damit zeichenhaft auf Macht verzichtet (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-des-bartimaios-mk-10-46ff).


Obwohl auch er am Ende in dem Weg ist, folgt er Jesus nach. Mit anderen Worten: Auch als Angehöriger einer judäochristlichen Gruppierung befähigt ihn sein Vertrauen zu Erkenntnis und Nachfolge, im Unterschied zum ersten Blinden (Petros, 8,22ff; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-in-der-bibel-mk-8-22ff-jesus-heilt-einen-blinden).


Beim sog. Einzug nach Jerusalem sind anscheinend viele zum Machtverzicht bereit, der durch das Ausbreiten der Mäntel in den Weg angedeutet wird. Andere breiten dagegen nur Stroh-Matten aus (11,8; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-des-sog-einzugs-nach-jerusalem-mk-11-1-11).


Das Schema zweier in Kontrast gesetzter Gruppen wird hier quantitativ gefasst. Gegenüber den vielen (Judäochristen), die zum Machtverzicht bereit sind, gibt es nur wenige andere, die das nicht sind, wobei deren Identität offen bleibt. –


In Jerusalem ist der Weg des Herrn an sein Ende gekommen. Umso bitterer wirkt die Ironie, wenn ihm dort in einem Streitgespräch zugutegehalten wird, er lehre den Weg Gottes in Wahrheit (12,14).


Dieses scheinbar freundliche, doch äußerst fragwürdige Zugeständnis machen einige der Pharisäer, also die Vertreter der Tora, sowie einige der von Mk so genannten Herodianer, die im Gefolge des Herodes sich und ihre Macht aufblähen wie Sauerteig (vgl. 8,5).


Doch der Jesus des Mk lehrt im Unterschied zum Jesus des Matthäus nicht den jüdischen Weg der Tora, noch den gesetzlosen Weg willkürlicher Machtausübung (vgl. 10,42f). Er lehrt im Anschluss an die prophetische Tradition Israels das bedingungslose Vertrauen zu Gott (vgl. 11,22) auch durch sein Vorbild, als der zum Sklaven erniedrigte Gottessohn (vgl. Jes 53).

 
 
 

Kommentare


©2022 Skandaljünger. Erstellt mit Wix.com

bottom of page