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Aus dem kleinen ABC zum Markus-Evangelium: L – Lehre

Aktualisiert: vor 11 Stunden

Seit jeher gilt Jesus als Lehrer. Diese Rollen-Zuschreibung hat sich in der Breite der Evangelien-Literatur niedergeschlagen, ihren Ursprung hat sie höchst wahrscheinlich bei Mk. Dessen spezifische Darstellung wurde jedoch seit je von der des Matthäus dominiert, der das Lehrer-Bild entscheidend umgeprägt hat.


Was Jesus einst gelehrt hat, scheint inhaltlich allgemein bekannt zu sein: Das nahe Gottesreich, Umkehr, Vergebung - und nicht zuletzt die Liebe zu Gott und zum Nächsten. Diese Aufzählung ließe sich leicht verlängern und mit Schriftstellen belegen.


Bestätigen lässt sie sich mit Mk so pauschal nicht. Fraglich erscheint sie vor allem deshalb, weil dieses Konstrukt von Lehrinhalten die situativen Bedingungen ignoriert, die Mk mit der Rolle des lehrenden Jesus verknüpft. So bleibt auch die narrative Kunst seiner Pointen außer Acht.


Dass Jesus tatsächlich gelehrt hat, liegt nahe, und Mk stellt es prinzipiell auch nicht in Frage. Im Gegenteil, er ordnet das Lehren Jesu erkennbar seinen vollmächtigen Taten vor, wie schon die ersten Geschichten zeigen.


Der Verkündigung beim ersten Auftreten in Galiläa (1,14f) folgt die sog. Berufung der ersten Jünger (1,16ff), und auf die Lehre in der Synagoge (1,21f) folgt das Hinauswerfen eines Unreinen Geistes (1,23ff), danach die sog. Heilung der Schwiegermutter (1,29ff), wobei offen bleibt, was davon am Sabbat erlaubt ist und was nicht.


NB: Bei den Zwölf ist die Reihenfolge genau umgekehrt. Sobald sie von ihrer Apostel-Entsendung zurückgekehrt sind, melden sie Jesus, wieviel sie getan und wieviel sie gelehrt haben (6,30). So beeindruckend ihr Aktionismus auch sein mag, zur Lehre waren sie nicht befugt (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-der-aussendung-der-zwölf-mk-6-7-13).


Das Problem der Lehre Jesu entsteht durch ihre Rezipienten. Textintern besteht es in der Lern-Unfähigkeit wesentlicher Teile seiner Hörerschaft, vor allem der Zwölf, deren Lern-Probleme verharmlosend als Jünger-Unverständnis bezeichnet werden (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/jünger).


Der Begriff ist schon deshalb ungeeignet, weil er dem Ausmaß ihres Lern-Unwillens nicht gerecht wird. Andererseits trifft er das Problem dahinter nicht. Alle Akteure des Mk sind ganz oder teilweise unfähig zur Erkenntnis der Vollmacht Jesu – und zugleich zum Verständnis seiner Lehre.


Ist Jesus bei Mk deshalb ein schlechter Lehrer (vgl. dagegen 10,17)? Tatsächlich werden die entsprechenden Lexeme des Lehrens und der Lehre bei Mk auffällig oft ironisch gebrochen. Entsprechende Pointen lassen sich bei allen Formen der griechischen Wortwurzel διδα- beobachten.


Insofern ist es wenig zielführend, wenn nicht sogar methodisch falsch, die Lehre Jesu als ein absolutes, von der Erzählung des Mk losgelöstes Thema beschreiben zu wollen. Sie ist abhängig von ihrem Kontext und kann nur im Rahmen des jeweiligen Kommunikations-Geschehens erfasst werden.


Das wiederum berührt die Frage nach der Reichweite. Gilt die Lehre Jesu textintern allein den Akteuren – oder hat Mk einen weiteren Kreis von Leser:innen im Blick? Soll sie über die Erzählung hinaus womöglich bis heute gelten? Könnte sie dann etwa als Grundlage einer christlichen Ethik dienen?


Schon ein flüchtiger Blick in die aktuelle wissenschaftliche Literatur zeigt: Jesus wird heute vor allem als ein jüdischer Lehrer gesehen, als Rabbi Jeschua. Dieses hauptsächlich in der Historischen Jesusforschung etablierte und durch sie weithin rezipierte Jesus-Bild beruht nicht auf Mk, sondern auf dessen Umdeutung durch Matthäus.


Da wird Jesus als neuer Gesetzgeber dargestellt, in offensichtlicher Entsprechung zu Mose. Daher greift Matthäus bei seiner Darstellung nur auf einen Bruchteil der Aussagen des Mk zurück. Den 34 Stellen bei Mk mit derselben Wortwurzel stehen nur 30 bei Matthäus gegenüber; wörtlich übereinstimmende Textpassagen gibt es in nicht einmal der Hälfte der Fälle; die meisten mit der Anrede Lehrer bei den Lehrgesprächen in Jerusalem.


Matthäus zeigt seinen Jesus schon mit der Bergpredigt  (Mt 5,1ff) als den autorisierten Lehrer des Willens Gottes, als Vermittler einer Tora, deren Geltung er nicht in Frage stellt, sondern erfüllt (Mt 5,17). Damit holt Matthäus ihn gleichsam in jenen judäochristlichen Kontext zurück, aus dem Mk ihn zuvor bewusst herausgelöst hatte.


Umgekehrt ist deshalb bei Mk damit zu rechnen, dass sein Jesus als Antityp zu einem Tora-Lehrer wahrgenommen werden soll, um ihn etwa der Deutungshoheit der Zwölf zu entziehen.


Dazu dienen auch andere Details: der autoritative Rückgriff auf die jüdischen Schriften oder die Vielzahl von Schülern, durch die Mk den exklusiven Alleinvertretungs-Anspruch der Zwölf untergräbt.


Schon deren äußerst beiläufige Eingliederung in die schnell anwachsende, amorphe Schülerschaft kann als ein narrativer Trick gedeutet werden, um die erste Generation der judäochristlichen Zeugen Jesu zu delegitimieren.


Als Apostel kommen die Zwölf jedenfalls bei Mk schon deshalb nicht in Frage, weil sie sich nicht entsprechend verhalten. Sie gehören zu Jesus, aber sie gehorchen ihm nicht (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-der-aussendung-der-zwölf-mk-6-7-13).


Im Kontrast dazu stellt Matthäus seinen Jesus als einen Lehrer dar, der von seinen Schülern verstanden wird und dessen Lehren befolgt werden. Das dient nicht allein dem Bild des Rabbi Jeschua oder der durch ihn vermittelten jüdischen Tradition, sondern der Wahrung ihrer Autorität. Mit Matthäus - und gegen Mk - konnten die Apostel zu dem werden, was sie für die apostolische Kirche bis heute sind.


In diesem Beitrag wird an einigen ausgewählten Stellen zu zeigen sein, wie Mk über die Schüler-Kritik hinaus den Titel des Lehrers mit allen Mitteln seiner Kunst in Frage stellt, übrigens weit häufiger und deutlicher noch als den des Christus (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-c-christus).


Zur Semantik des Lehrens zählt im weiteren Sinn auch eine Vielzahl damit verbundener Termini. Das sind an erster Stelle die Schüler, ferner Begriffe des Lernens und Sitzens, des Hörens und Verstehens, des Verkündigens und der Vollmacht. Zum polyvalenten Symbol Weg folgt ein separater Beitrag.


Im engeren Sinn zählt dazu auch der Terminus Rabbi, ursprünglich wohl ein hebräischer Ehrentitel, den Mk nicht eigens übersetzt. Mit ihm spießt er ironisch die beschränkte Perspektive der Judäochristen auf. Als ehrenvolle, aber situativ unpassende Akklamation wird er nur von den beiden Exponenten der Zwölf gebraucht, zweimal von Petros, einmal von Judas (9,5; 11,21; 14,45).


Auf derselben Linie liegt der aramäische Ehrentitel Rabbuni, den bezeichnenderweise ein Blinder ausspricht, der kurz zuvor noch den messianisch geprägten Titel Sohn Davids geschrien hatte (10,47ff). Beides sind Symptome der in seinem Fall heilbaren Blindheit gegenüber Jesus (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-des-bartimaios-mk-10-46ff).


Der Erkenntnisgewinn des Bartimaios zeigt idealtypisch und in Opposition zum ersten Blinden (8,22ff), dass ein Lernfortschritt potenziell bei allen möglich ist, die wie er an Erkenntnis-Mangel leiden, also auch bei den judäochristlichen Schülern. Trotzdem ist das Führungstrio der Zwölf, das Triumvirat von Petros, Jakobos und Johannes, nicht dazu bereit.


Ihnen allen, an erster Stelle aber dem Petros, versucht Jesus zu vermitteln, dass Nachfolge mit der Bereitschaft zum Verzicht auf Macht, Besitz und Leben verbunden ist (8,34; 10,28); den beiden anderen, dass ihnen für ihre Märtyrer-Rolle kein endzeitlicher Lohn zusteht (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-in-der-bibel-fehler-der-vulgata-4-1).


So ist es kein Zufall, was Mk als entscheidende Lehre ins Zentrum stellt: den Leidensweg, den Jesus infolge der Blindheit mächtiger Akteure auf sich nehmen muss. Diese zentrale Lehre erfolgt in Anspielung auf das Führungstrio insgesamt dreimal, jeweils verknüpft mit dem Motiv der ungenügenden Nachfolge (8,31; 9,31; 10,32ff).


Ebenso wenig zufällig schließt diese Lehre an die unsinnigen, zumindest aber unzureichenden Jesus-Bilder an, die die Zwölf und stellvertretend für sie Petros zur Sprache bringen (8,28f). Doch ausgerechnet von ihnen wird Jesus auf seine Frage hin nicht als Lehrer bezeichnet, geschweige denn als ihr Lehrer. Was er selbst sei, wird ausgerechnet von ihnen nicht mit dem Lehrer-Titel beantwortet.


Die Jesus-Bilder und -Titel, die sie stattdessen referieren, entsprechen ihrer (für Mk unzureichenden) judäochristlichen Vorstellungswelt. So entsteht der Eindruck, sie selbst seien deren Vermittler. Nicht Jesus, sondern die Zwölf sind es, die zu Lehrern avanciert ein falsches Verständnis der Tradition, der Lehre Jesu und des Willens Gottes verbreiten.


Insofern ist ihr Anführer Petros mit dem Christus-Titel und seiner offenen Ablehnung des Leidensweges der Widersacher Gottes schlechthin, der Satan (8,33). Seinem Christus-Titel stellt Mk das Bild des leidenden Gottesknechts gegenüber und damit den Gehorsam des Chrestus Jesus, den er mit Anspielungen auf die Gottesknechts-Lieder des Jesaja begründet (vgl. 9,31 z.B. mit Jes 53,12). Anders als zuvor lehrt Jesus hier nicht in Rätseln (vgl. 4,1ff); er redet Klartext.


Im Folgenden soll in groben Umrissen nachgezeichnet werden, was Mk von Anfang an im Kontext der drei unterschiedlichen Lexeme (Lehre, lehren, Lehrer) mitschwingen lässt. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein synoptischer Vergleich ergebnislos bleiben muss; Matthäus und Lukas lassen die für Mk so typischen Pointen weg.

 

1. Die neue Lehre (1,21ff)

Schon die Geschichte vom ersten Auftreten Jesu in der Synagoge zeigt deutliche Spuren von Ironie. Auf dem gemeinsamen Weg nach Kapharnaum ignoriert er mit seinem Gefolge das Gebot der Sabbatruhe (1,21). Insofern wirkt es zwiespältig, wenn der Erzähler ihm danach bescheinigt, er lehre wie einer, der Vollmacht hat und nicht wie die Schreiber (1,22). Das entspricht auch der Reaktion der Hörerschaft: Sie ist verwirrt.


Was also lehrt Jesus, wenn er den Sabbat nicht hält und seine Lehre erkennbar anders ist als die der Schreiber? Unausgesprochen wird sie erstmals mit der Frage der Tora-Observanz verknüpft, ohne dass Mk auch nur ein einziges Mal den Begriff des Gesetzes (νόμος) aufgreifen würde. Auch die Frage, was die Vollmacht bedeutet, bleibt vorerst offen.


Nach dem Hinauswerfen eines Unreinen Geistes in der Synagoge untersucht die Menge, die nun nicht mehr nur verwirrt ist, was es mit der neuen Lehre und der Vollmacht auf sich habe. Erschrocken stellen sie fest: Er befiehlt den Unreinen Geistern, und sie gehorchen ihm (1,27).


Ein für die Ironie des Mk typisches Missverständnis: Erstens war nur von einem einzigen Geist die Rede, und zweitens geschieht das, was von einem Unreinen Geist zu erwarten ist: Er erkennt Jesus entgegen seiner eigenen Auskunft nur halb und gehorcht ihm auch nur teilweise, wenn er laut aufschreit und damit sein Schweigegebot nicht einhält (1,25f).


Zudem ist es bezeichnend, dass die neue Lehre im vollmächtigen Handeln Jesu gesehen wird, im sichtbaren Hinauswurf des einen Unreinen Geistes. Mit anderen Worten: Sie interessieren sich nicht für die Autorität Jesu oder seine Lehre, geschweige denn für die im Hintergrund angedeuteten Fragen der Tora-Observanz.


Übrigens wird schon hier das Apostel-Bild präfiguriert, da auch sie Unreine Geister sind, wenn sie Jesus nur halb erkennen und seine Gebote nur teilweise befolgen. So erfüllen sie etwa seinen ironischen Auftrag nicht, die Einsamkeit der Wüste aufzusuchen, um dort zu Ruhe zu kommen (6,33f). Stattdessen fahren sie mit dem Boot (vgl. 4,35) und ziehen die Menschenmassen an, die er dann als der gute Hirte lehren und sättigen muss (6,34ff).


Die immer wiederkehrende Frage dahinter wird bis zur zentralen Lehre in der Buchmitte immer weiter zugespitzt: Wie rein kann seine Lehre unter den Bedingungen permanenter Unreinheit sein? Ist angesichts dessen die Tora-Observanz mit dem Willen Gottes zu vereinbaren und deshalb von Jesus zu erwarten? Und in seiner Nachfolge auch von den Völkerchristen?


In seinen Ausführungen über die Reinheit begründet Jesus mit Jesaja (7,7 vgl. Jes 29,13), warum die Judäochristen (sic!) keine Aufträge Gottes lehren, sondern an Menschen-Geboten festhalten. Dieses Problem macht Jesus später dem Petros zum Vorwurf: Du hast nicht im Sinn, was Gottes, sondern was der Menschen ist (8,33).


Was die neue Lehre für Petros und sein judäochristliches Gefolge bedeutet, macht Mk zuvor zum Thema der ersten großen Rede Jesu.

 

2. Das Lehren in Rätseln (4,1ff)

Die Historische Jesusforschung ist davon überzeugt, dass Jesus in Gleichnissen gelehrt habe. Dieser Textsorte wird damit offiziell eine Authentizität zugeschrieben, die ihr per se nicht zukommt; nachweisen lässt sie sich nicht, zumindest nicht mit letzter Sicherheit.


Bei Mk sind die angeblichen Gleichnisse mehr oder minder kunstvolle Rätsel, die er seinem Jesus in den Mund legt, wie er auch deren Funktion im Rahmen der ersten Rede mit der sog. Parabel-Theorie erklärt. Die baut Mk in einer Sandwich-Konstruktion zwischen die beiden ersten Rätsel-Blöcke ein (4,11f).


Vorab deutet die ausführliche Einleitung zur Rede, die Mk am Meer lokalisiert, auf das Führungstrio hin - durch den dreifachen und insofern überbetonten Hinweis auf die Lehre (4,1f; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markusevangelium-r-rätsel).


Die Rätsel-Rede mündet in einen bezeichnenden Erzähler-Kommentar: Dass Jesus sie lehrt, wie sie es hören konnten, dass er aber den eigenen (idiois) Schülern alles auflöst (4,34). Das scheint insofern nötig zu sein, als sie schon das erste Rätsel nicht verstanden hatten (4,13).


Dieses erste Rätsel erlaubt den literarischen Trick, verschiedene Rezeptions-Ebenen gleichzeitig aufzumachen. Da gibt es zunächst die sehr große Menschen-Masse, die als ein Werk des Menschenfängers Petros ebenso plötzlich weg ist, wie sie gekommen war.


Ferner gibt es die Zwölf – und mit ihnen auch die um ihn herum (4,10). Sie sind es, die als lernwillige Schüler nach dem Sinn der Rätsel fragen. Umgekehrt sei ihnen, so Jesus, das Geheimnis des Königtums Gottes [im Brot] gegeben.


Textextern gibt es schließlich noch die Leser:innen und Hörer:innen, die aufgefordert sind, die kryptischen Rätsel des Mk zu lösen, sofern sie seine Botschaften verstehen wollen.


Es hat einen eigenartigen Grund, dass den Zwölf nicht das Geheimnis des Königtums Gottes gegeben ist, sondern alles nur in Rätseln zuteil wird: Sie zählen zu denjenigen, die draußen sind (4,11; vgl. 3,31). Daher können sie Jesus nicht im Wort verstehen, wie sie ihn später nicht im Brot erkennen können (8,17). Kurz: Sie sind taub und blind für Jesus.


Ausgerechnet die Generation der Augen- und Ohrenzeugen Jesu ist nicht in der Lage, ihn zu erkennen und zu verstehen. Mit dem gegen sie gerichteten und verschärften Schrift-Zitat begründet Jesus, warum ihnen nicht vergeben werde (wovon bei Jesaja keine Rede war; vgl. Jes 6,9f).


Wie Jesaja ist Jesus ein Gesandter Gottes, der auf mangelndes Umdenken und Unverständnis stößt. Aber was bedeutet das für sie? Ist Jesus deshalb auch ein Prophet? Diese Frage beantwortet die anschließende Geschichte der sog. Sturmstillung, die den bevollmächtigten Gottessohn deutlich vom Propheten Jona abhebt (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-der-sog-sturmstillung-mk-4-35-5-1).


Frucht bringt seine Lehre nur bei denjenigen, die ihn im Wort und im Brot erkennen können, gegen die Ansprüche der führenden Judäochristen – und in unvermeidlichen Konfliktfällen auch gegen die Ansprüche der von ihnen vertretenen Tora (z.B. 2,27; 7,19).

 

3. Der Lehrer

Eine Folge des Lehrer-Titels sind ironische Brechungen, weil die eigentliche Bedeutung Jesu nicht erkannt wird. So sprechen sie ihn im endzeitlich konnotierten Sturm auf dem Meer vorwurfsvoll als Lehrer an, nicht aber als Retter, geschweige denn als ihren Retter (4,38), bevor sie am Ende die Frage aufwerfen, wer dieser sei (4,41).


Bevor Jesus trotz des dringenden Verdachts von Unreinheit das Haus des Jairos betritt, wird ihm mitgeteilt, dass er zu spät komme, weil dessen Tochter bereits gestorben sei (5,35). Die Frage ist für sie nicht mehr, ob er ihr Leben überhaupt retten dürfe oder könne. Erneut wird er nur als Lehrer angesprochen, nicht aber als der Retter, der sie dann zeichenhaft vom Schlaf aufweckt.


So entsteht der Eindruck, dass Jesus aus jüdischer bzw. judäochristlicher Perspektive missverstanden wird und werden muss. Dieses mit Ironie aufgeladene Schema ist vielfach erkennbar, schon in der Synagoge von Kapharnaum (1,21f), dann in der Synagoge der sog. Vaterstadt (6,1ff) sowie im Heiligtum bei denjenigen Gesprächspartnern, die ihn in mancherlei Lehrgespräche verwickeln.


Von pikanter Ironie ist danach der Auftrag zur Auffindung jenes Raumes, in dem die Zwölf das Passa bereiten und mit ihm essen sollen (14,12ff). Die beiden dazu ausgesandten Schüler sollen einen von Jesus vorhergesagten Hausherrn nach diesem Raum fragen (14,14) – und dies nicht etwa in Jesu Namen tun, sondern mit der einleitenden Wendung: Der Lehrer sagt: Wo ist mein Ausspann […].


Die wichtigsten Orte seiner Lehre sind zunächst die Synagoge und später das Haus (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markusevangelium-h-haus). Ein weiterer Ort ist das bereits genannte Meer, auf dem Jesus nicht wie der Fährmann auf dem Weg zur Unterwelt agiert, sondern sitzt und das ganze Volk auf der Erde lehrt (4,1).


Ein auf die Bedeutung der Tora anspielender Ort ist der (Heils-)Weg, auf dem Jesus als Guter Lehrer angesprochen wird, und zwar von Einem, den Jesus trotz allem liebt (vgl. 10,17). Weil Jesus nur das Attribut des Guten Lehrers in Frage stellt, spricht der ihn weiterhin als Lehrer an (10,20), ohne jedoch am Ende seinem Auftrag zu folgen vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-des-einen-mk-10-17ff).


Am Ort des Heiligtums erfolgt erst der Hinauswurf der Händler, dann die ihn erklärende Lehre (11,17), was je unterschiedliche Reaktionen auslöst. Die Oberpriester und Schreiber wollen ihn vernichten, fürchten aber die Menschenmenge (11,18). Die Parallele zur Synagoge ist an der wortgleichen Reaktion erkennbar (sie waren verwirrt über seine Lehre, 11,18, vgl. 1,22).


Bei den Lehrgesprächen im Heiligtum geht es zunächst um die Vollmacht Jesu, dann auch um endzeitliche Fragen, die in sehr unterschiedlichen Gesprächs-Runden verhandelt werden. Gemeinsam ist den kritischen Gesprächspartnern der Gebrauch des Lehrer-Titels (12,14.19.32).


Auch das ist nicht neu: Im jüdischen bzw. judäochristlichen Kontext wird Jesus jeweils nur als Lehrer angesprochen und ernst genommen – sieht man mal von der Ironie des Mk ab, die schon im Gebrauch des Lehrer-Titels durch Jakobos und Johannes erkennbar war (10,35). Als Lehrer wird Jesus missverstanden, als Christus wird er gekreuzigt - Vollmacht hin oder her.


Das Missverstehen seiner Lehre gehört bei Mk also wesentlich zu deren Rezeption. Von entsprechender Ironie ist auch seine abschließende Feststellung in Gethsemani geprägt, dass sie ihn ergreifen, nachdem er doch im Heiligtum bei ihnen gewesen sei, gelehrt habe und sie ihn nicht ergegriffen hätten (14,49). Mit anderen Worten: Indem sie ihn ergreifen, haben sie ihn nicht begriffen.


Danach der abschließende Höhepunkt: Nach einem kurzen Hinweis Jesu auf die Schrift fliehen sie alle... – vor dem Wort Gottes in seiner Lehre (14,50).


Anders als bei Matthäus, der dem Auferstandenen noch den entscheidenden Apostel-Auftrag zur Lehre seiner Gebote in den Mund legt (Mt 28,20), folgen dem in die Hände der Sünder übergebenen Menschensohn des Mk danach keine Schüler mehr - mit Ausnahme der Leser:innen.


Die Reichweite des Themas führt insofern über die Akteure deutlich hinaus, als bei Mk die neue Lehre Jesu dazu dient, Ansprüche der Judäochristen und der von ihnen geforderten Tora-Treue abzuwehren – und so den Völkerchristen ihre eigene Ethik einzuräumen.


Die überzeitliche Bedeutung seiner Verkündigung steht ohnehin unmissverständlich fest: Der Himmel und die Erde werden vorbeigehen, meine Worte aber werden nicht vorbeigehen (13,31).



PS: Im Bild oben ist 7,7 im Codex Sinaiticus zu sehen - mit dem Zitat aus Jesaja 29,13. -

Hier die Umschrift samt Übersetzung:


ματην δε ϲεβοντε 

με διδαϲκοντεϲ 

διδαϲκαλιαϲ ενταλ

ματα ανων

αφεντεϲ την εντο

λην του θυ κρατει[...]


Vergeblich aber scheuen sie sich vor

mir, lehrend

als Lehren Ge-

bote von Menschen.

Verlassend das Ge-

bot Gottes, festhaltet...

 
 
 

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