Die Geschichte des sog. Besessenen von Gerasa (Mk 5)
Aktualisiert: 2. Aug.
Die Schlusspointe zuerst. Was da am Ende erzählt wird über ihn, dessen Name ungenannt, aber zu dechiffrieren ist, macht den Sinn der Geschichte insgesamt deutlich. Sie ist das ironisch gebrochene Gegenteil einer Apostel-Berufung, eine Anti-Berufungsgeschichte. Mk erzählt genussvoll und mit allen Mitteln seiner Kunst, wie ein Besessener ohne den entsprechenden Auftrag Jesu zum Verkündiger wird. Zu dechiffrieren ist der Klarname des so ausführlich porträtierten Akteurs: Paulus.
Ein ganzes Feuerwerk von Pointen wird gegen ihn gezündet. Am Ende möchte er, der ehedem von Unreinen Geistern Besessene, mit Jesus sein, vergleichbar den Zwölf, die dazu berufen sind (vgl. 3,14), oder wie der Synagogenvorsteher Jairos, der unmittelbar danach und in hintergründiger Formulierung mit ihm weggeht (5,24). Ihm ist es hingegen ausdrücklich nicht erlaubt (5,19).
Dabei ist einer der Running Gags des Mk in den Übersetzungen nicht zu erkennen. Der ehedem Besessene bittet eigentlich nicht darum, mit Jesus zu sein, er ruft dazu auf (5,18). So werden die permanenten Aufrufe des Paulus aufs Korn genommen, die zahlreichen Ermahnungen in seinen Briefen (z.B. 1 Kor 1,10; 2 Kor 1,4 u.ö.).
Schließlich erteilt Jesus ihm einen kuriosen Verkündigungsauftrag. Er sendet ihn in sein Haus (vgl. 8,26), wo er den Seinen berichten soll, wie viel der Herr, der Gott Israels, an ihm getan und dass er sich seiner erbarmt habe (5,19). Er aber hält sich nicht an den Auftrag, wenn er in der Dekapolis (den Nichtjuden) verkündigt, wie viel Jesus ihm getan habe.
Das ist eine Pointe, die über den Ungehorsam hinaus auf den Inhalt der Verkündigung zielt. Denn über Jesus kann er gar nichts sagen, da er mit ihm nichts weiter zu tun hatte als nur eine Begegnung von Ferne. In der Paulus-Satire des Mk ist Jesus eine bloße Randfigur.
Sie erzählt, warum die Verkündigung des selbsternannten Völker-Apostels ohne Legitimation erfolgt und weshalb sie den mit viel Witz beschriebenen Tatsachen nicht entspricht. Daher kann sie anstelle des Vertrauens auf Jesus am Ende nur Verwunderung auslösen (5,20).
Die enorm detailreiche Geschichte beginnt unmittelbar nach der Sturmstillung, die bereits auf das Thema des Gehorsams gegenüber Jesus zielt (4,41). In der ausführlichen Einleitung kommt es zur Begegnung Jesu mit dem Wüterich.
Auf die Frage, wie er heiße, antwortet später nicht er selbst, sondern stellvertretend für ihn ein Unreiner Geist mit einem Pseudonym (Legio ist mein Name, weil wir viele sind 5,9). Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil der Geist zu diesem Zeitpunkt bereits ausgeworfen und nicht mehr fähig sein sollte, die Frage zu beantworten (5,8).
Das aufwendige Austreibungswort Jesu war also erfolglos angesichts der massiven Unreinheit des Besessenen. Für die gibt es einen einfachen Grund. Der Name Legio deutet ihn an mit seinem ersten Hinweis auf die römischen Soldaten, die in großen militärischen Einheiten zusammengeschlossen und aus jüdischer Sicht unrein waren.
Die nachgeschobene Erklärung (weil wir viele sind) spielt dagegen auf Paulus selbst an, auf die römische Namensform des Apostels, die dem lateinischen Wort paulus entsprechend wenig, gering bedeutet. Mit anderen Worten: Der Wenig heißt hier Legio, weil sie viele sind. Die Vielzahl könnte wiederum ein Witz über den Plural sein, mit dem Paulus oft von sich selbst spricht (im sog. Pluralis modestiae, z.B. 2 Kor 1,4 u.ö.).
Die ausführliche Einleitung beschreibt, was für einen observant lebenden Juden undenkbar ist, dass er in Gräbern haust (5,3; vgl. Jes 65,4). Der Besessene aber treibt sein Unwesen Nacht und Tag sowohl dort, als auch in den Bergen (sic! 5,5). Er wütet also an Symbol-Orten des Todes, der Gottesnähe und des Gesetzes, ohne dessen Reinheitsvorschriften zu beachten.
Die Ketten, mit denen er nicht gebunden werden kann, mit denen er oft gebunden war und die von ihm zerrissen wurden, lenken den Blick vom Besessenen hin auf die vergeblichen Versuche, ihn zu bändigen. Sie spielen auf die juridische Macht an, auf die sog. Binde- und Lösegewalt, mit der Menschen für schuldig erklärt oder freigesprochen werden. Er aber braucht keinen Löser, der ihn freispricht; das tut er selbst.
Dazu kommt noch der Hinweis auf die Steine, mit denen er sich erschlägt (5,5), auf Strafen durch Steinigungen also, die auf ihn selbst zurückfallen. Soweit die Exposition, die den Besessenen (Paulus) als einen Berserker darstellt, dessen todbringendes Gebaren nur mit dem Unreinen Geist erklärt wird.
Bei seiner Begegnung mit Jesus, gleichsam seinem Damaskuserlebnis, ist er es selbst, der die Initiative ergreift. Er braucht Jesus nur von Ferne zu sehen, um zu rennen (5,6), sich ihm zu unterwerfen und ihn mit lauter Stimme als Jesus, Sohn Gottes, des Höchsten anzuschreien (5,7). Zu diesem erstaunlichen Bekenntnis passt die einleitende Abwehr-Formel (Was ist zwischen mir und dir? vgl. 1,24; 2 Kön 3,13) so wenig wie die ängstliche Beschwörung Gottes, nur ja nicht gefoltert zu werden.
Von einer heilenden Berührung ist jedenfalls keine Rede; jeder persönliche Zuspruch fehlt. Jesus unternimmt nichts weiter, als den einen Unreinen Geist ausfahren zu lassen und mit der Vielzahl der verbliebenen Geister noch im Gespräch zu bleiben.
Die ruft ihn vielmals dazu auf, nicht weiter ausgesandt, sondern in eine Schweineherde geschickt zu werden (5,12). In der realitätsfernen Dimension von etwa 2000 Schweinen stellt sie die Vielzahl römischer Soldaten dar, die sog. legio X fratensis, die einst in ihrem Feldzeichen das Abbild eines Ebers mit sich trug.
Jesus, der keine Unreinen Geister aussendet, lässt den erbetenen Wechsel zu (5,13), mit dem Ergebnis, dass die Schweine den Hang hinab stürmen und im Meer ersticken (sic!). Diese todbringende Massentaufe der ganzen Legion ist das fatale Ergebnis ihrer feindlichen Distanz gegenüber Jesus.
Eine Folge davon ist die Flucht der Schweinehirten, die erst jetzt in Erscheinung treten und als eifrige Boten das Geschehen verkündigen, bevor sie zu Jesus kommen (5,15). Dort betrachten sie nur den ehedem von Unreinen Geistern Besessenen, den sie sitzen, bekleidet und sogar besonnen sehen; Augen oder Ohren für Jesus haben diese unreinen Hirten nicht.
Nach seiner Bekehrung ist Paulus also im Lehramt (sitzend), im geistlichen Amt (bekleidet mit einem Mantel) und zur Vernunft gekommen, allerdings mit der fragwürdigen Folge, dass die Schweinehirten sich fürchten (5,15), Ehrfurcht also vor ihm haben statt vor Gott.
Damit nicht genug: Nun beginnen sie, die ihn gesehen haben, unaufgefordert davon zu erzählen, wohlgemerkt nicht über Jesus, sondern über ihn, den vermeintlich Geheilten, der als ein Dämonisierter inzwischen sogar von Dämonen besessen ist, sowie über die Schweine (5,16). Was könnten sie von Jesus auch zu verkündigen haben?
Ihn rufen sie im Gegenteil dazu auf, ihr Gebiet zu verlassen . Damit erweist sich der Einsatz des Paulus als völliger Fehlschlag. Das ist nicht erstaunlich: Befreit hatte Jesus ihn ausdrücklich nur von einem einzigen Unreinen Geist (5,8). Die verbliebene Vielzahl wollte selbst weg von ihm (5,12) - und die Dämonen sind an ihrer Stelle nicht minder wirksam (5,16).
In den Auslegungen der Geschichte werden einige Spannungen bemerkt, darunter auch ein geographischer Widerspruch: Gerasa sei vom See Genezareth unpassend weit entfernt (Luftlinie ca. 60 km). Tatsächlich wäre das bei einer bayerischen Erzählung einer Lokalisierung vergleichbar, die den Ort Altenerding in die Nähe des Würmsees rückt. Wegen derart widersprüchlicher Ortsangaben wurde bei Mk ein Mangel an Ortskenntnis diagnostiziert (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/ceterum-censeo-wo-hat-jesus-gewirkt-7-3).
Des Rätsels Lösung liegt darin, dass Orts- und Personennamen bei Mk generell bedeutungstragend sind. Also nimmt Mk nicht auf die historische Stadt Gerasa Bezug, sondern auf das Wirkungs-Gebiet des alten (Apostels; gr. Gḗras). Das Meer markiert wie auch sonst bei Mk eine doppelte Abgrenzung: die der Juden von den Völkern – sowie von Leben und Tod.
Die Erzählung des Besessenen von Gerasa skizziert mit viel Ironie die Biographie eines Apostels, der durch Jesus von den widergöttlichen Mächten nicht befreit, noch in endzeitlicher Perspektive von ihm gerettet wird. Diese Fessel wird er nicht selbst lösen können; dazu bräuchte er Jesus.
Mk stellt dabei die apostolische Legitimation des Paulus sowie seine Glaubwürdigkeit in Frage. Ein wahrer Apostel Jesu hätte das Evangelium Jesu zu verkündigen, anstatt Gesehenes als Geschehenes zu erzählen.
Mit derselben Aufgabe wird auch das Triumvirat der Zwölf in der Geschichte der sog. Verklärung konfrontiert; da sollen Petros, Jakobos und Johannes nicht erzählen, was sie gesehen haben (9,9), vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-der-verklärung.
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