Die Geschichte des Bartimaios (Mk 10,46ff)
Aktualisiert: 7. Nov.

Um eine Blinden-Heilung scheint es bei der kurzen Geschichte des Bartimaios zu gehen. So jedenfalls ist sie in deutschen Bibel-Editionen überschrieben. Sie hat es in sich. Schaut man genauer hin, so lässt sich feststellen, dass es dabei auch um eine endzeitliche Rettung geht sowie um eine Kontrast-Geschichte zur satirisch erzählten Scheinheilung eines ersten Blinden (8,22ff; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-in-der-bibel-mk-8-22ff-jesus-heilt-einen-blinden).
Jesus macht Blinde sehend. Im Anschluss an die Prophetie des Jesaja kann er Blinden die Augen öffnen für den Weg Gottes (vgl. Jes 42,7.16).
Gerettet wird der am Weg sitzende Bartimaios insofern, als er (zu Gott) aufblicken und Jesus auf seinem Weg (in die Auferstehung, vgl. 2,14) folgen kann. Seine Blindheit ist freilich nicht physiologischer Natur; sie entspricht wie beim ersten Blinden einem entscheidenden, in seinem Fall aber heilbaren Mangel an Erkenntnis.
Die Voraussetzungen sind jedenfalls denkbar unterschiedlich. Dieser Blinde hat einen Namen (Bartimaios) und einen Vater (Timaios), er ist ein Bettler und sitzt am Weg (vgl. 1,16), an einem Symbol-Ort von Tiefe (Jericho). Er wendet sich selbst an Jesus, der als Nazarener verkündigt wird, und bittet ihn schreiend (im Gebet) um Erbarmen. Die Bitte lässt sich auf seine Armut oder auf seine Blindheit beziehen, darüber hinaus aber auch auf die Verkündigung des (falschen) Nazarener-Titels.
Eingeführt wird er als Sohn des Timaios, Bartimaios. Die auffällige Umständlichkeit der Namensnennung hat ihren Sinn. Der Sohn des Timaios (griechisch: des Hochgeehrten) wendet sich an Jesus, den Sohn des (hochgeehrten) Gottes, den er Sohn Davids nennt. Bartimaios spricht Jesus also nicht als Lehrer an, wohl aber als Königsprätendenten, als Anwärter auf den Christus-Titel. Das ist bei Mk ein typisches Symptom von Blindheit.
Genau genommen ist Bartimaios nicht der Bettler, der ob seiner Armut Barmherzigkeit verdient hätte; sein Auftreten ist vielmehr das eines aufdringlich Fordernden. Damit steht er in unmittelbarer Nachfolge der beiden Zebedaios-Söhne, die Jesus zuvor aufgefordert hatten, das zu tun, was sie von ihm fordern (10,37). Ihre endzeitlichen Lohn-Forderungen lehnt er entschieden ab (10,40; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/%C3%BCbersetzungsfehler-in-der-bibel-fehler-der-vulgata-4-1).
Was Bartimaios tatsächlich von Jesus will, bleibt solange offen, bis Jesus ihn nach seinem Willen fragt (10,51). Den benennt er selbst mit dem Wunsch, (zu Gott) aufzublicken. Auch das unterscheidet diese Blindenheilung von der ersten, die nur durch die Personen seines Umfelds initiiert wird, als wüsste er nichts von seiner Blindheit oder wäre sprachlos.
Die Geschichte hier ist auf dem Weg angesiedelt, auf der letzten Etappe, die Jesus und sein Gefolge von Jericho nach Jerusalem führt, vom tiefsten Punkt seines Wegs zum vorläufig höchsten, dem Kreuz, und damit vom vermeintlichen Königsprätendenten zum angeblichen König der Judäer (15,26).
Mit Jesus ist außer den Schülern eine genügende Menschenmenge unterwegs (10,46, sic!), unter denen viele auf das Schreien des Bartimaios reagieren, die ihn verwarnen zu schweigen (10,48). Das setzt die umgekehrten Verwarnungen Jesu voraus, über ihn zu reden. Die Schein-Heilung (des Petros) wie auch dessen Christus-Behauptung hatten jeweils zu einem Schweige-Gebot geführt, genauer: zu einem verschärften Verkündigungs-Verbot (8,26.29).
Das ist eine der vielen versteckten Pointen: Sie, die unerlaubt Jesus als den Christus verkündigt hatten, wollen nun den blinden Bartimaios davon abhalten, Jesus als Sohn Davids anzuschreien (10,48). Ein Witz ist auch, dass er nicht zu hören scheint, was sie ihm befehlen, denn er schreit daraufhin nur noch lauter.
Auslöser für seinen Ruf nach Erbarmen ist die Verkündigung des Namens Jesus und seines Nazarener-Titels. Die Anspielung auf den fiktiven Ort Nazareth erlaubt eine weitere Pointe: Dieser auf eine menschliche Abstammung Jesu anspielende Ortsname steht in Opposition zu Bethlehem (vgl. 1,9) – und damit zum Sohn Davids. (Vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/ceterum-censeo-wo-hat-jesus-gewirkt-7-3).
Die auf das Schreien reagierende Anweisung Jesu, ihn zu rufen, deutet indes keine Berufung an. Sie wirkt vielmehr wie eine ironische Aufforderung, zurückzuschreien - oder auch wie eine Anspielung auf den Weckruf des Hahns (vgl. 14,30, vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wie-steht-es-um-petros-und-um-sein-erinnerungsverm%C3%B6gen-mk-14-72).
Das Gefolge, das ihn also rufen soll, befolgt seinerseits den Auftrag Jesu nicht. Vielmehr behaupten sie eigenmächtig nach einer Ermutigungs-Formel und einem eigentümlichen Weckruf: Er ruft dich (10,49). Wörtlich lautet ihr Weckruf: Wache auf! Das befehlen ihm ausgerechnet diejenigen, die später nicht wachbleiben können.
Bartimaios aber (sic!) wirft seinen Umhang (Mantel) weg, springt demonstrativ auf (die Füße) und kommt zu Jesus (10,50). Sein Schreien nach dem jüdischen Sohn Davids ersetzt er durch die aramäische Anrede Rabbuni. Unübersetzt erscheint diese Form des Lehrer-Titels rätselhaft, als Titel ist er bedeutungslos.
Der entscheidende Grund des rettenden Vertrauens, das Jesus ihm bestätigt, ist keiner der Titel, nicht das Schreien nach dem Sohn Davids, noch die geheimnisvolle Anrede Rabbuni. Es ist neben der inständigen Bitte um Erbarmen und dem Ungehorsam gegenüber den Aufträgen das Wegwerfen des Mantels (Umhangs). Zum Umhang als Macht-Symbol folgt ein separater Blog-Beitrag.
Ohne dieses Macht-Symbol und ohne jeden Besitz kann Bartimaios schließlich aufblicken (zu Gott), Jesus auf dem Weg (in die Auferstehung) folgen und somit – ebenfalls im Unterschied zu Petros – gerettet werden.