Aus dem kleinen ABC zum Markus-Evangelium: H – Haus
Aktualisiert: 13. Sept.
Hatte Jesus ein eigenes Haus?
Für die Historische Jesusforschung und inzwischen für weite Teile der Theologie gilt es als erwiesen, dass Jesus ein besitzloser Wanderprediger war. Diese These und ihre quasi-axiomatische Geltung werden ausnahmsweise nicht in Zweifel gezogen. Die Frage ist hier vielmehr, welche Bedeutung das Haus für Mk bzw. für den Jesus des Mk hat.
In den jüdischen Schriften des Alten Testaments bedeutet Haus bekanntlich nicht nur Wohnhaus. Es kann im weiteren Sinn Familie oder Sippe bedeuten, bis hin zu den beiden Stämmen von Nord- und Südreich (Haus Israel, Haus Juda, Jer 5,11). Und es kann den Tempel, das Haus Gottes, bezeichnen (vgl. 2,26).
Mk verwendet zwei klar unterschiedene Begriffe für Haus, die im Deutschen keine direkten Entsprechungen haben. Vergleichbar ist das mit dem Wort für Kind; auch hier gebraucht Mk zwei Wörter, die er bewusst differenziert (Vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-k-kinder).
Weniger eindeutig ist die semantische Unterscheidung bei den Bezeichnungen für Haus. Daher wird sie schon seit der Antike, seit den frühen lateinischen Übersetzungen im Raum der Kirche ignoriert; die akademische Theologie vernachlässigt sie noch immer.
Es mag denkbar erscheinen, den im Kontext nicht eindeutigen Ausdruck sein Haus (2,15) besitzanzeigend auf Jesus zu beziehen – gegen den Status des Wanderpredigers. Die Zuordnung beruht aber auf einem Missverständnis. Denn dieses Haus ist allem Anschein nach das des Levi, der es als idealer (judäochristlicher) Nachfolger Jesu anstandslos zur Mahlfeier öffnet.
Das wirft ein Licht auf die Funktion des Hauses. Das Wohnhaus (oikia) ist der Ort der Hausgemeinschaft, der Familie – und damit auch der Mahlfeier. Demgegenüber ist oikos das Versammlungshaus, in Analogie zur jüdischen und judäochristlichen Synagoge; zudem beschreibt es bei Mk auch Besitzverhältnisse.
Zum Gebet zieht Jesus sich ohnehin an einsame Orte zurück (Wüsten-Ort, 1,35; Berg, 6,46; Gebiet mit Namen Gethsemani, 14,32). Auch die Massenspeisungen und großen Reden sind unter freiem Himmel angesiedelt (6,32ff; 8,1ff). Wenn Jesus schon kein eigenes Haus hat, wofür hält er sich dann immer wieder in einem Haus auf?
Mk zeichnet ihn in auffallender Distanz zu den größeren Städten und damit zu den Missions-Zielen der späteren apostolischen Verkündigung. So erzählt er von Aufenthalten Jesu, die nur er als auktorialer Erzähler kennt – und die nicht als historische Informationen missverstanden werden dürfen.
Im Folgenden wird ein unvollständiger Überblick zum Begriff des Hauses bei Mk und der damit verbundenen Gebäudeteile gegeben. Um die Namen anderer Gebäude geht es hier nicht, auch nicht um die beiden Bezeichnungen für den Tempel (hieros, naos) oder um das Prätorium in Jerusalem.
Das erste Haus, das Mk explizit in den Blick nimmt, ist ein Haus in Kapharnaum (oikia, 1,29). Es steht in relativer Nähe und dennoch in Abgrenzung von der Synagoge, die Jesus zuvor ausdrücklich verlässt. Deren Funktion als ein judäochristlicher Versammlungsort wird nur angedeutet (in ihrer Synagoge, 1,21).
Jesus kommt sofort aus der Synagoge herausgehend in das Haus des Simon und Andreas. Die dort so kurz wie komplex erzählte Geschichte der Schwiegermutter des Petros wird dessen Behauptung Lügen strafen, er habe alles verlassen (10,28). Und das ist nur eine der zahlreichen Facetten (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-der-schwiegermutter-des-petros-mk-1-29-31).
Das Wirken Jesu beginnt also mit der öffentlichen Lehre in der Synagoge, läuft aber sofort auf die private – und nicht explizit genannte – Mahlfeier im Haus des Petros zu. Diese Darstellung des Mk dürfte der Realität eines historischen Rückblicks entsprechen: Petros hatte ursprünglich keine Probleme mit Mahlfeiern unter kultisch unreinen Bedingungen.
Am Ende des ersten Aufenthalts Jesu in Kapharnaum fallen eigentümliche Details auf. Am selben Abend, d.h. nach Sabbat-Ende, ist die ganze Polis versammelt, zur Tür hin (1,33). Kapharnaum aber war ein kleines Dorf, keine Polis, und mit dem sonderbaren Hinweis auf die Tür spielt Mk auf den Menschenfänger Petros an.
Den anderen Begriff für Haus (oikos) verwendet Mk erstmals beim nächsten Besuch Jesu in Kapharnaum: Und hineingehend wieder nach Kapharnaum wurde nach Tagen gehört, dass er im Haus ist (2,1; siehe Bild oben, Cod. Sin.; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-des-paralysierten-mk-2-1-13).
Diesmal bezeichnet das Haus ein von Menschenmengen bevölkertes Gebäude. Jesus sieht dort nicht etwa deren Glauben, sondern den von vier Trägern, die einen Paralysierten (d.h. Erschlafften) auf einem ungewöhnlichen Weg zu Jesus bringen. Denn nirgendwo ist Platz, nicht einmal zur Tür hin (2,2).
Die kuriose Folge: Der Weg zum Menschensohn, der schon auf Erden Sünde vergeben kann, führt über das Dach, das wie bei einer Bestattung aufgegraben ist, nicht aber durch die Tür bzw. über Petros. Das Haus wird damit zum Bild für ein Grab, in das der Erschlaffte zu Jesus heruntergelassen wird.
Auf das Bild der Tür nimmt Jesus mit einem ironischen Gerichtswort in seiner Endzeitrede noch einmal Bezug (13,29). Das nachfolgende Türhüter-Rätsel weist mit der Forderung des Wachbleibens auf das Versagen des Petros voraus (14,37ff). Im Klartext: Nicht einmal als Türhüter wird Petros in Frage kommen, geschweige denn als (endzeitliche) Tür zum Königtum Gottes. –
Beim dritten der drei Kapharnaum-Besuche kommt Jesus wieder in ein Haus (oikia, 9,33), diesmal mit Jakobos und Johannes. Dort stellt er indirekt ihre Führungsposition in Frage, auch die des Petros. Angesichts der Macht-Verhältnisse fordert Jesus von jedem, der Erster sein will, das Gegenteil, konkret den von Sklaven zu leistenden Tischdienst.
Das verbindet er mit der zeichenhaften Umarmung eines (nichtjüdischen) Kindes und dem Anspruch, es in die Hausgemeinschaft aufzunehmen (9,36). Das soll heißen, dass Völkerchristen als Kinder Gottes zur judäochristlichen Tisch-Gemeinschaft aufzunehmen sind. Wer sie zur Mahlfeier aufnimmt, nimmt Jesus auf – und damit ihn, der ihn gesandt hat (9,37).
Um die heiklen Fragen der Mahlgemeinschaft geht es erstmals im genannten Haus des Levi (2,15). Doch die sind da aus jüdischer Sicht noch kein Problem, weder für die vielen (judäochristlichen) Schüler, noch für Jesus, der nicht Gerechte ruft, sondern Sünder (2,17). Sogar die Schreiber der Pharisäer äußern sich nicht explizit dagegen (2,16).
So ist der Begriff des Hauses auch für die Schüler - und mit ihnen für den Aposteldienst von Bedeutung. Die Zwölf entsendet Jesus nur in private Häuser, nicht aber in die Öffentlichkeit der Städte oder Marktplätze, wo sie trotzdem aktiv werden (vgl. 6,33).
Bei ihrer ersten und einzigen Entsendung erteilt er ihnen ironisch den Auftrag, in Hausgemeinschaften zu gehen und dort bis zu ihrem Weggehen zu bleiben (6,10). Das Brot (für die Mahlfeier) sollen sie jedoch nicht mitnehmen (6,8).
Umgekehrt sendet Jesus einige seiner Patienten nach Abschluss der Behandlung nach Hause. So erteilt er ihnen ein indirektes Schweigegebot, das Gegenteil eines apostolischen Verkündigungs-Auftrags. Das wird freilich nicht angemessen befolgt, weder vom Erschlafften, der demonstrativ hinausgeht (2,11), noch vom Besessenen (Paulus, 5,19; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-des-sog-besessenen-von-gerasa-mk-5).
Bei der Schein-Heilung des Blinden fällt die Sendung nach Hause besonders auf, auch wegen des Widerspruchs, dass er nicht einmal ins Dorf gehen darf (8,26). Ob er, der als Petros sich dechiffrieren lässt, das Verdikt einhält, bleibt offen, erscheint aber nach den bisherigen Erfahrungen unwahrscheinlich.
Im Klartext bedeutet das: Der nach der Behandlung scharf sehende, aber Jesus nicht erkennende Petros darf nicht in die Öffentlichkeit gehen (8,26; vgl. 1,38). Ob er gehorcht, lässt der Text offen. (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-in-der-bibel-mk-8-22ff-jesus-heilt-einen-blinden).
Im Zusammenhang mit Petros hat das Haus (Oikos) eine noch weitergehende Bedeutung. Angesichts der Besitz-Verhältnisse fordert Jesus das Gegenteil, den Besitz-Verzicht, als eine wesentliche Bedingung der (Kreuzes-)Nachfolge. Dies machen die Geschichte des namenlosen Einen (10,17ff) und die auf den Widerspruch des Petros reagierenden Ausführungen Jesu deutlich (10,29f).
Im Katalog der für Jesus aufzugebenden, und doch hundertfach neu zu gewinnenden Besitztümer steht der Oikos an erster Stelle. Die Pointe dabei: ein so üppiger, zeitlich aber begrenzter Gewinn ist unter den Bedingungen der Verfolgung wertlos, für das ewige Leben im kommenden Äon ist er ohnehin bedeutungslos.
Fazit: Für Mk bzw. für die Begegnung mit Jesus in der Mahlfeier ist nur die private Hausgemeinschaft (oikia) wichtig. Volle Häuser und reiche Besitztümer sind für die Nachfolge bzw. für die Erkenntnis der Verborgenheit Jesu im Brot bedeutungslos oder sogar hinderlich.
Und: Die These eines besitzlosen Wanderpredigers Jesus bleibt weiterhin ein fragwürdiges wissenschaftliches Konstrukt.
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