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Wann wurde der Text des Mk geschrieben?

Aktualisiert: 25. Juli

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Die Antwort auf die in diesem Blog naheliegende Frage scheint verhältnismäßig klar zu sein. Nach allgemeiner Auffassung ist das entscheidende Datum das der Zerstörung des Jerusalemer Tempels. Mit dem Hinweis auf 13,2 geht die Fachwelt einhellig davon aus, dass Mk sein Evangelium um das Jahr 70 n. Chr. geschrieben habe. Die Begründung dafür scheint bei solcher Einmütigkeit beinahe schon obsolet zu sein.


Allerdings fällt die konkrete Antwort etwas unterschiedlich aus, je nachdem, ob 13,2 als ein echtes Jesuswort oder als eine ihm ex post in den Mund gelegte Prophezeiung gedeutet wird. Seit einiger Zeit wird das sog. Tempelwort überwiegend als vaticinium ex eventu ausgelegt; daher gelten die 70er Jahre des ersten Jahrhunderts als Entstehungszeit.


Zur Bestätigung werden naheliegende Vergleichs-Daten herangezogen, datierbare Ereignisse aus der Geschichte Israels oder des Römischen Reichs.


Da ist einmal der Verlauf des Jüdischen Krieges, der mit seinen traumatischen Erfahrungen und den entsprechenden Folgen in der Kreuzestheologie des Mk erkennbar sei. In den Wirren der für die Judenheit entscheidenden Katastrophe hätten die Jesusgläubigen im Leiden und Sterben Jesu Trost, Vergewisserung und Orientierung gefunden.


Einen anderen Bezugsrahmen bietet die römische Geschichte mit dem Aufstieg der Flavier. Mk sei in einem Kontext entstanden, in dem der Ausbau römischer Macht und die Stabilisierung des Reiches durch Kaiser Vespasian wichtig geworden seien. Nach den für die römischen Christen desaströsen Verfolgungen durch Kaiser Nero und der Niederschlagung des jüdischen Aufstands habe Mk seinen Jesus römischen Macht-Ansprüchen gegenüber gestellt.


Allen Zuordnungs-Bemühungen zum Trotz: Durch derartige, teilweise konstruiert wirkende Verbindungen zu historischen Ereignissen kann ein Entstehungs-Zeitpunkt nicht ermittelt werden, so wenig wie durch die Untersuchung der Handschriften oder durch den Abgleich mit anderen Texten, etwa mit dem des Matthäus oder auch mit außerbiblischen Quellen. Die genaue Datierung ist und bleibt auch in diesem Beitrag offen, weswegen im Folgenden eine absolute Chronologie nicht angestrebt wird.


Hier wird aufgrund der Erkenntnisse aus den letzten Blog-Beiträgen und mangels eindeutiger (Gegen-)Beweise der Versuch unternommen, den Text des Mk etwas anders einzuordnen. Als historischer Anlass könnte der sog. Antiochenische Zwischenfall in Betracht kommen. Damit wäre er frühestens ab der Mitte der 50er Jahre entstanden, möglicherweise aber deutlich vor der Zerstörung der Jerusalemer Tempels.


Aus dem Text selbst lässt sich ein weiterer, freilich nicht zweifelsfrei datierbarer terminus post quem ermitteln. So kann etwa aus 10,41 geschlossen werden, dass Mk in Jakobos und Johannes die ersten Märtyrer sieht – und aus 10,38f, dass er sie als jene deutet, die mitgekreuzigt wurden mit Jesus (15,31; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wer-sind-die-mit-jesus-gekreuzigten-schächer-mk-15-27).


Auffallend daran ist die ungewöhnliche Vorsilbe, das Präfix mit- (bzw. syn-), entsprechend der deutschen Redewendung „Mitgegangen – Mitgefangen – Mitgehangen“. Immer wieder ist sie im Kontext des judäochristlichen Führungstrios von Petros, Jakobos und Johannes erkennbar.


In deutschen Übersetzungen ist das Präfix oft nicht angemessen wiedergegeben, obwohl es im griechischen Wortlaut als Stilmittel auffällt und ein bewusstes Gestaltungs-Element des Mk zu sein scheint. Besonders deutlich ist das in der Passionsgeschichte zu erkennen, wenn Petros erst beteuert, mit Jesus mitsterben zu wollen (14,31), kurz darauf aber im Hof des Oberpriesters mitsitzend ist – ausgerechnet mit den Gehilfen, die ihn schlagen (14,54).


Diese ungewöhnlichen Wort-Bildungen sind ein wichtiges Indiz für den historischen Anlass, der schon in der synoptischen Tradition bedeutungslos wurde, für den besagten Konflikt in Antiochien. Derjenige, der ihn einst durch seinen Opportunismus ausgelöst hatte (vgl. Gal 2,11ff), ist bei Mk in eben jenem Petros erkennbar, der in rätselhaften Anspielungen als Opportunist aufs Korn genommen wird (vgl. 4,5f).


Umgekehrt entspricht der enttäuschte Vorwurf des Paulus, die Galater hätten sich einem anderen Evangelium zugewandt (Gal 1,6) der Rätsel-Auflösung des darauf reagierenden Mk, derzufolge die auf das Felsige Gesäten nur auf den Augenblick [bedacht] seien (4,17). Die Saat (einer von Petros gegründeten Gemeinde?) gehe zwar schnell auf, halte aber den Krisen von Bedrängnis oder Verfolgung nicht stand.


Hier ist nicht der Ort, die geschichtlichen Hintergründe des Vorfalls zu beschreiben, der mit der Ausbreitung des Evangeliums in die nicht-jüdische Völkerwelt unvermeidlich wurde. Anlass war die Ablehnung seitens des Kefas', in Antiochien an solchen Mahlfeiern teilzunehmen, an denen auch Nichtjuden beteiligt waren.


Den daraus resultierenden Grundsatz-Konflikt greift Mk mit seiner Darstellung der Mahlfeiern auf und verbindet ihn mit dem Vorwurf an die judäochristlichen Schüler, sie als Ohren- und Augenzeugen hätten Jesus nicht erkannt (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-e-essen).


Bezeichnend ist schon die erste Andeutung einer Mahlfeier, die im Haus des Simon und Andreas angesiedelt ist. Da lehnt Jesus es keineswegs ab, die möglicherweise unreine Schwiegermutter des Petros zu berühren. Wie auch Petros selbst es danach zulässt, dass sie ihnen (zu Tisch) dient (1,29ff, vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-der-schwiegermutter-des-petros-mk-1-29-31).


Weiterhin fällt die erste Erwähnung der Schülerschaft auf, die bei Mk genau das tut, was der historische Petros später ablehnt, nämlich mit unreinen Menschen das Mahl zu halten. Ohne ihn explizit zu erwähnen, heißt es ausdrücklich, dass sie mitliegend waren mit Jesus und mit vielen anderen, mit Sündern und Zöllnern (2,16f). Selbst die Pharisäer stören sich nicht am gemeinsamen Mahl, wenn sie dabei nur bemerken, dass er mit ihnen isst.


Gegenüber solchen relativ eindeutigen Bezügen ist der eingangs genannte Zusammenhang zur Tempelzerstörung weitgehend unklar. 13,2 ist eine sibyllinische Weissagung Jesu, die schon textintern von den vier Schülern missverstanden wird, als er zeichenhaft das Heiligtum verlässt. Ihre Rückfrage nach dem Termin und nach den Zeichen, wann dies alles vollendet werde, löst die sog. Endzeit-Rede Jesu aus (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/anmerkungen-zur-endzeit-rede-jesu-mk-13).


Doch seine prophetischen Äußerungen dazu bleiben insgesamt vage, auch die Anspielung auf das Buch Daniel, auf die Entweihung des Tempels durch den von ihm prophezeiten Gräuel der Verwüstung (13,14). Entgegen dieser Weissagung wurde der Tempel durch die Römer nicht etwa verunreinigt, entweiht oder profaniert, er wurde bis auf die Grundmauern zerstört. Ein so katastrophales und folgenreiches Ereignis hätte bei Mk vermutlich andere Spuren hinterlassen.


Gleichwohl fallen die möglicherweise auf den Jüdischen Krieg zu beziehenden Angaben ins Gewicht, etwa die Kriegsgerüchte (13,7) oder die durch die prophezeite Tempel-Entweihung motivierte Aufforderung zur Flucht in die Berge (13,14). Doch auch deren Bedeutung dürfte im Kontext ein anderer sein, da sie deutlich durch alttestamentliche Bezüge geprägt sind.


Ohne das hier im Einzelnen zeigen zu können: Mk greift mit seiner Endzeit-Rede nicht ex post auf ein textexternes Geschehen zurück, sondern zeigt mit seinen Topoi aus den jüdischen Schriften, was apokalyptische Bedrängnis bedeutet - und was der auf die Geltung dieser Schriften pochende Judäochrist Petros auf sich zu nehmen nicht bereit ist.


Die Endzeit-Rede ist ebenso wie die anschließende Passions-Geschichte auf die Erzählfigur des Petros hin konstruiert. Im Unterschied zu vielen anderen Akteuren des Mk hat sein Petros einen historisch erkennbaren, biographisch eindeutig belasteten Hintergrund. Der dürfte von wesentlicher Bedeutung für die Text-Entstehung sein (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/warum-wurde-der-text-des-mk-geschrieben).


Mit anderen Worten: Die prophetische Rede bietet einen Maßstab für die Leidensgeschichte Jesu und zugleich einen Deutungsrahmen für das ultimative Versagen des Petros (14,66). Insofern müssen die aus dieser Deutung abgeleiteten zeitlichen Einordnungs-Versuche spekulativ bleiben.


Bei der Gelegenheit noch eine weitere, höchst spekulative These zur Person des Petros. Wäre er tatsächlich als Märtyrer in Rom hingerichtet worden, dann wäre die Erzählung des Mk so nicht geschrieben worden. Angesichts der kunstvoll erzählten Geschichte seiner Apostasie scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Der historische Petrus hat sich der drohenden Hinrichtung entzogen, durch Apostasie und der anschließenden Verbannung.


Solche für römische Christen unvorstellbare Feigheit könnte der Grund dafür sein, dass in allen biblischen Büchern sich seine Spur verliert, insbesondere in der Apostelgeschichte des Lukas, in der vom weiteren Ergehen der einst maßgeblichen Führungspersönlichkeit etwa ab der Buchmitte nicht mehr die Rede ist. Ein Märtyrer Petrus hätte vermutlich andere Spuren hinterlassen.


Denn als Märtyrer hätte er in der Phase der Bedrängnis genau das getan, was der Jesus des Mk im Nachhinein von ihm fordert, er hätte sein Kreuz auf sich genommen. Eben das, wozu der andere Simon gezwungen war (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wer-ist-simon-von-kyrene-der-dritte-der-drei-simons-mk-15-21).


Hätte Petros sein Leben für Jesus und für das Evangelium gegeben – und das tatsächlich bis zum Ende durchgehalten (13,13), so hätte Mk einen wesentlichen Anlass weniger gehabt, die jüdischen Schriften so kunstvoll gegen ihn und gegen die Dominanz der Judäochristen in Stellung zu bringen.


Fazit: Der Antiochenische Zwischenfall und die Apostasie des Petros waren der historische Hintergrund und die entscheidenden Anlässe für Mk, anhand einer fiktiven Biographie Jesu die Autorität der judäochristlichen Führungsriege subversiv in Frage zu stellen - und die apostolische Befugnis des Petros zurückzuweisen.


Das bedeutet zugleich: Es geht Mk nicht primär um eine an der Schrift-Erfüllung orientierte Darstellung Jesu als Gottesknecht, sondern um dessen Vor- und Kontrastbild zum Aufstieg und Fall des Petros. So gesehen lässt die Jesus-Biographie des Mk eine erste Apostelgeschichte erkennen, die genau das ablehnt: die Bedeutung der ersten Apostel.

 
 
 

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