Anmerkungen zur Endzeit-Rede Jesu (Mk 13)
Aktualisiert: 24. Nov.
Der kunstvoll gebaute Rede-Komplex in Mk 13 steht in deutlicher Entsprechung zur ersten Rede Jesu (Mk 4), allein schon durch die Symmetrie des Gesamtaufbaus des Mk. Im Unterschied zu ihr wurde er in der Kirche wie auch in der Wissenschaft lange Zeit vernachlässigt.
Heute findet er in der Forschung zunehmend Beachtung. Dabei wird er nach wie vor mit einer schriftlichen Vorlage erklärt, die es nie gegeben hat. Für beides gibt es Gründe.
Die Endzeit-Rede mit ihren Anspielungen auf jüdische Schriften konnte es schon deshalb nicht mit der scheinbar anschaulicheren Rätsel-Rede (Mk 4) und schon gar nicht mit den großen Rede-Kompositionen des Matthäus aufnehmen, weil sie in ihrer Botschaft untypisch für Jesus schien.
Im Rahmen des Evangeliums nach Mk wurde sie als ein Fremdkörper wahrgenommen, dem schon deshalb weniger Aufmerksamkeit zuteil wurde. Dabei bietet sie einen Schlüssel für die ihr folgende Passionsgeschichte - und für die Erzählung des Mk insgesamt.
Obwohl der Text als Rede Jesu formuliert ist, wurde er unpassend als Apokalypse bezeichnet, vor allem wegen seiner endzeitlichen Perspektive und der entsprechenden Motivik.
Weil beides als jüdisch wahrgenommen wurde, unterschied man die Rede von der angeblich christlichen Lehre Jesu, im redlichen, aber vergeblichen Bemühen um die ipsissima vox Christi. So konnte sie zum Exerzierfeld redaktionsgeschichtlicher Analysen werden.
In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde nicht nur die Unterscheidung eines "jüdischen" von einem "christlichen" Jesus aufgegeben, die sog. Apokalyptik wurde insgesamt zur Mutter der christlichen Theologie erklärt (Käsemann).
Das hat den entsprechenden Texten, besonders auch der Endzeit-Rede des Mk, vermehrte Aufmerksamkeit gebracht, gleichwohl mit begrenztem Ertrag. Denn nach einer verbreiteten Ansicht könnte die Rede ebenso gut auch fehlen.
Würde sie hingegen in ihrer Bedeutung als ein Schlüsseltext des Mk wahrgenommen, so wären manche Deutungs-Stereotype nicht mehr zu halten. Das sei an einem Beispiel gezeigt, an der Bild-Rede vom Reich Gottes (vgl. 1,15), zu der ein eigener Blog-Beitrag folgt.
Sie gilt als Inbegriff der Verkündigung des historischen Jesus. Freilich ist der im Deutschen übliche Begriff Reich als Äquivalent für die Basileia unpassend, da er den zentralen Aspekt der Königsherrschaft nicht mit einschließt.
Sie ist eines der Themen in der ersten großen Rede Jesu (Mk 4). In der zweiten (Mk 13) wird der Basileia-Begriff zwar verwendet, doch steht er hier nur im Kontext künftiger Krisen, sei es in der Gegenwart des Mk oder auch späterer Leser:innen.
Ausgerechnet in jener Rede also, in der Jesus seine prophetische Sicht der Endzeit benennt, fehlt der Gedanke, dass Gott - oder Jesus selbst - als König der Welt herrschen werde. Das hat seinen Grund in der Passionsgeschichte. Sie zeigt Jesus als einen Gottesknecht, der im Anschluss an Jesaja stellvertretend für sein Volk leiden und sterben muss (vgl. Jes 53).
Umgekehrt wäre dieser Tod wertlos, wenn es im Glauben nicht auf diesen erniedrigten Sklaven Jesus ankäme, auf den Chrestus Jesus, der gehorsam den Weg ins Leiden und Sterben auf sich nimmt (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/warum-wurde-der-text-des-mk-geschrieben).
Entsprechend wertlos wäre auch das Sehen eines Königs, der diesem stellvertretenden (Opfer-)Tod und damit dem Willen Gottes ausweicht. Das erklärt die zentralen Christus-Aussagen der Endzeit-Rede.
Wie im Zentrum des gesamten Mk-Textes die Christus-Behauptung des Petros steht (8,29) und im Zentrum der Passionsgeschichte die Verleugnung durch Petros (14,66ff), so steht im Zentrum der Endzeitrede die Warnung vor Christus-Visionen (13,21), verbunden mit der scharfen Warnung Glaubt nicht!
Damit greift Jesus das komplementäre Gebot zum Glauben aus seiner Anfangsrede auf, die das nahe Königtum Gottes verheißt (1,15). Inhaltlich trägt er dazu bei, den Glauben auch unter den leidvollen Bedingungen der Bedrängnis vorzubereiten und zu stärken.
Gerettet wird nicht etwa, wer einen leibhaftig auferstandenen Christus sieht oder an ihn glaubt. Gerettet wird, wer tapfer bis an das Ende durchhält (13,13), trotz absehbarer Leiden - und in deutlicher Opposition zu Petros.
Die Frage der beiden (fiktiven) Brüderpaare nach dem Termin der Endzeit und den sichtbaren Zeichen dafür dient als Auslöser der Rede; ihr geht eine schon textintern missverstandene Prophezeiung voraus (13,2; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/fragwürdige-theorien-in-der-forschung-2-2-deutung-und-datierung-von-mk-13-1f).
Petros und seine judäochristlichen Brüder werden jedenfalls nicht zu jenen Auserwählten gehören, die Jesus auserwählt hat (13,20). Stattdessen dürfen sie wie kleine Schulbuben in exklusiver Nachhilfe am schlichten Beispiel des Feigenbaums lernen, woran sie den Sommer erkennen können (13,28).
Eben diese Zeit der Trennung von Spreu und Weizen ist das Zeichen einer Endzeit, die schon vor den Türen steht (13,29, vgl. 4,29). Was das konkret bedeutet, wird Jesus ihnen kurze Zeit später mit ebenso rätselhaften Worten erklären: Aber nach meinem [am Kreuz] Aufgerichtet-Werden werde ich euch [vor Gericht] führen in Galiläa (14,28).
Dessen ungeachtet wird das Triumvirat von Petros, Jakobos und Johannes dreimal schlafen - im entscheidenden Moment (14,33ff), obwohl sie am Ende der Endzeit-Rede ausdrücklich zum Wachen aufgefordert waren (13,33.35.37).
So lernen sie nicht, was der aufgestandene, noch, was der leidende Jesus zu sagen hat (vgl. 9,5f; 14,33), geschweige denn, was das Aufstehen aus [den] Toten bedeutet (vgl. 9,10; bzw. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-der-sog-auferstehung).
Fazit: Die Endzeit-Rede Jesu beruht nicht auf einem schriftlich überlieferten jüdischen Text, den Mk mehr oder minder redigiert zu einer Rede Jesu umgeformt hätte. Besonders abwegig ist es, als Vorlage ein sog. „apokalyptisches Flugblatt“ zu vermuten, was immer das sein soll.
Die apokalyptisch aufgeladenen Topoi, die ein exklusives Offenbarungswissen andeuten, sind ebenso wie die kunstvollen Anspielungen auf die jüdischen Schriften ein literarischer Trick des Mk, um seinen Jesus gegen das Triumvirat der Judäochristen in Stellung zu bringen, gegen Petros, Jakobos und Johannes.
Was es mit dem vierten Hörer der Endzeit-Rede auf sich hat (mit Andreas, vgl. 13,3), wird in einem eigenen Beitrag zu zeigen sein.
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