Übersetzungsfehler in der Bibel: Mk 1,40ff
Aktualisiert: 24. Jan.
Jesus heilt einen Aussätzigen, dann einen Gelähmten?
Es gehört zum tradierten Bild des biblischen Jesus, dass er aus Barmherzigkeit Kranke, Behinderte und Besessene heilt. Doch die Heilungsgeschichten des Mk erzählen oft etwas anderes (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/ceterum-censeo-war-jesus-ein-heiler-6-7).
Sein Text wurde deshalb an dieses Vorverständnis, an das uralte Jesusbild des barmherzigen Heilers angeglichen. Im Lauf der Überlieferung wurden die Geschichten des Mk geglättet und von manchen ironischen Spitzen befreit. Dazu trugen schon die innerbiblischen Umdeutungen bei, an erster Stelle die wirkmächtigen Korrekturen des Matthäus.
Den unter den Textkritikern bekanntesten Fall zeigt die Geschichte der sog. Heilung eines Aussätzigen. Ihn wirft Jesus am Ende wie einen Dämon grob hinaus (1,43, vgl. 1,134), wobei schon zu Beginn klar wird, dass er wütend ist auf ihn, dass er ihn im Zorn reinigt, und nicht etwa, wie es heute heißt, aus Mitleid (1,41).
Damit wurde eine Spitze des Mk gegen judäochristliche Reinheitsansprüche entschärft. Jedenfalls legt Mk den Fokus hier wie auch sonst nicht auf einen barmherzigen Jesus, geschweige denn auf dessen Heilkunst, sondern auf die drängenden Fragen seiner eigenen Zeit, die er mit viel Ironie und Witz beantwortet.
Nicht nur im Auftreten Jesu, auch in dem der anderen Akteure wurde der Text einer intendierten Deutung zuliebe an die Erwartungen frommer Gemüter angeglichen und gleichsam geheiligt, aus kirchlicher wie aus seelsorgerlicher Perspektive nachvollziehbar, doch entgegen der Aussage-Absicht des Mk.
Im Fall des Aussätzigen zeigt der Patient selbst mehrere Probleme zugleich, wenn er zu Jesus kommt und ihn nicht etwa um Heilung bittet oder gar um endzeitliche Rettung, sondern ihn zu seiner Reinigung aufruft (παρακαλων, 1,40f).
Schon in der lateinischen Übersetzungstradition wurde aus dem Aufruf eine flehende Bitte (deprecans, zu sehen auf dem Bildausschnitt der Gutenberg-Bibel in der vorletzten Zeile).
Der Vulgata folgten allzu bereitwillig die deutschen Übersetzungen, in denen der Patient ebenfalls bittet, freilich mit Worten, die alles andere sind als eine flehende Bitte: Wenn du willst, kannst du mich reinigen. Vergleichbare Aufrufe sind bezeichnend für die Paulus-Satire in Mk 5 (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-des-sog-besessenen-von-gerasa-mk-5).
Das wenig demütige, um nicht zu sagen unverschämte Auftreten des Patienten hat schon in frühen Handschriften zu der Tradition geführt, wenigstens einen Kniefall zusätzlich in den Text einzufügen (και γονυπετων, 1,40). Dennoch ist diese in die Vulgata und in deutsche Bibeln übernommene Demutsgeste unpassend (vgl. Bild, letzte Zeile: genu flexo).
Der Zorn Jesu ist aus verschiedenen Gründen nachvollziehbar. Er könnte seinen Grund in der Gesetzlosigkeit haben, in dem Problem, dass der Aussätzige die Weisungen der Tora nicht befolgt, wenn er trotz seiner Hautkrankheit zu ihm kommt. Dann aber dürfte Jesus ihn umgekehrt nicht berühren (1,41).
Der Grund ist offensichtlich ein anderer. Zu Beginn beruft der Patient sich auf den Willen Jesu, um am Ende doch nur das zu tun und zu bewirken, was er selbst will (1,45). Die vermeintliche Geschichte der Heilung ist die Geschichte eines Ungehorsams, der am Ende genau jenen Unglauben bewirkt, den Mk im Kontext jüdischer Akteure aufspießt.
Die Zielrichtung ist deshalb eindeutig. Diejenigen, die Jesus zuerst verkünden, sind von ihm dazu nicht autorisiert, geschweige denn ausgesandt. Die Spitzen richten von Anfang an sich gegen die erste Generation, gegen die (Pseudo-)Apostel der Judäochristen, insbesondere gegen den Apostelfürsten Petros.
Die Geschichte des Aussätzigen mündet deshalb in die Pointe, dass er das Wort, das Jesus selbst erst später sagen wird (sic! 2,2), entgegen dem eingangs so ausdrücklich beteuerten Willen selbstherrlich verkündet und verbreitet (1,45).
Die Folge ist ein wenig wunderbarer Wechsel im Aufenthaltsort; durch den Kontakt wird Jesus zum Ausgestoßenen, anstatt selbst das Wort sagen und verbreiten zu können. Der erst kultisch unreine, doch von ihm gereinigte Mensch tritt als Verkündiger an seine Stelle.
Das Problem unpassender Verkündigung greift die anschließende Geschichte auf. Sie beginnt mit der eigentümlichen Angabe, derzufolge tagelang gehört wurde, dass Jesus im Hause sei.
Die spätere Übersetzungstradition hat den Text scheinbar plausibel gemacht, zugleich aber die Pointe zerstört, indem die Zeitangabe auf das Eintreffen Jesu bezogen wurde (Und nach [einigen] Tagen ging er wieder nach Kapharnaum; 2,1).
Hier der entsprechende Textausschnitt der Vulgata in der Version der Gutenberg-Bibel (et iterum intravit Capharnaum post dies : et [sic!] auditum est quod in domo esset)
Weitere Angaben zu der so kunstvoll wie ironisch erzählten Geschichte sind zu finden unter https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-des-paralysierten-mk-2-1-13.
Zu einigen der Übersetzungsfehler in deutschsprachigen Bibel-Übersetzungen hier noch ein kleiner Überblick:
1,40: Der Aussätzige bittet nicht und fällt auch nicht auf die Knie (s.o.).
1,41: Jesus hat kein Mitleid mit ihm, sondern Wut (s.o.).
1,43: Jesus schickt ihn nicht weg; er wirft ihn hinaus (s.o.).
1,45: Der Geheilte bzw. Gereinigte geht nicht (von Jesus) weg, sondern heraus.
Das ist von allegorischer Bedeutung; er verlässt die jüdische Welt, um sein eigenes Thema zu verkünden und zu verbreiten, beides gegen den ausdrücklichen Willen Jesu.
2,1: Nicht: Es wurde bekannt, sondern: Es wurde gehört oder auch: Man hörte. Der entscheidende Begriff ist der des Hörens, der mit dem Sehen im letzten Vers korrespondiert (2,12), auf spätere Hör- und Seh-Probleme verweist und damit auf die Schein-Heilungen des Tauben und des Blinden (Petros; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-in-der-bibel-mk-8-22ff-jesus-heilt-einen-blinden).
2,1: Nicht: Und nach einigen Tagen kam Jesus …, sondern: tagelang hörte man (s.o.). Was es da zu hören gibt, ist einzig der unbestätigte Hinweis auf die längere Anwesenheit Jesu im Haus (des Simon Petros? vgl. 1,29). Ob man dort auch das Wort Jesu hörte, ist fraglich.
2,2: Das von Luther gegen Mk und die Vulgata eingefügte draußen übersieht das allegorisch zu deutende Bild der von Menschen belagerten Tür (vgl. 1,33), einer für Mk typischen Anspielung auf den erfolgreichen Menschenfänger, letztlich aber schlafenden Türhüter Petros.
2,3: Das Krankheitsbild ist unklar; geprägt ist es durch den fragwürdigen Konsens, der Patient leide an Lähmung. Das aber entspricht nicht dem (ironischen) Text des Mk, bei dem die Muskelprobleme vielmehr einer Erschlaffung entsprechen (vgl. Jes 35,3). Der Paralysierte hat Jesaja zufolge weiche Knie, weswegen er getragen werden muss von Vieren - wie zu seinem Begräbnis.
2,5: Jesus spricht den ihm gegenüber sprachlosen Patienten barsch mit dem Wort Kind an, einem bei Mk typischen Ausdruck für Judäochristen (τεκνον, vgl: https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-k-kinder).
2,9: Der im Deutschen übliche Ausdruck (sind vergeben) suggeriert Vorzeitigkeit; die Zeitstufe bei Mk ist die des Praesens (werden vergeben).
2,9: Im ursprünglichen Text des Mk gibt es nur zwei Imperative (Wach auf und lauf herum).
Das komplexe Bild des Sofa-Aufhebens ist hier eingeschoben; es kommt erst mit dem ausdrücklichen Befehl in 2,11 zur Sprache.
2,11: Das Möbelstück ist nicht das vom Erzählablauf her naheliegende Bett (Kline, vgl. Mt 9,2), geschweige denn eine Pritsche, Bahre oder dergleichen. Es ist eine Liege zum Ausruhen, vergleichbar unserem Sofa, und zugleich eine ironische Anspielung auf das Kreuz, das die Nachfolger Jesu eigentlich aufheben sollen (8,34).
2,11: Die einleitend-feierliche Formel (Ich sage dir), die in Spannung steht zur ausführlichen Rede-Einleitung zuvor, ist wohl eine nach-mk Einfügung, übernommen aus 5,41 oder aus der Parallele des Lukas (Lk 5,24).
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