Übersetzungsfehler in der Bibel: Mk 1,40ff
- martinzoebeley
- 8. Dez. 2023
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 13. Apr.
Jesus heilt einen Aussätzigen, dann einen Gelähmten?

Es gehört zum tradierten Bild des barmherzigen Jesus, dass er Blinde, Lahme, Gehörlose und Besessene heilt. Die Heilungsgeschichten des Mk erzählen oft etwas anderes (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/ceterum-censeo-war-jesus-ein-heiler-6-7).
Sein Text wurde seit je an dieses Vorverständnis, an das uralte Jesusbild des barmherzigen Heilers angeglichen. Im Lauf der Überlieferung wurden die Geschichten des Mk geglättet und von ironischen Spitzen befreit. Dazu trugen schon die innerbiblischen Umdeutungen bei, an erster Stelle die wirkmächtigen Korrekturen des Matthäus.
Den in der Textkritik bekanntesten Fall zeigt die Geschichte der sog. Heilung eines Aussätzigen. Ihn wirft Jesus am Ende wie einen Dämon grob hinaus (1,43, vgl. 1,134). Freilich zeichnet sich schon zu Beginn ab, dass er wütend ist auf ihn, dass er ihn im Zorn reinigt, und nicht etwa, wie es heute heißt, aus Mitleid (1,41).
So wurde eine Spitze des Mk gegen judäochristliche Reinheitsansprüche entschärft. Hier wie auch sonst erzählt er nicht von einem barmherzigen Jesus, geschweige denn von dessen Heilkunst; Mk geht auf die drängenden Fragen seiner eigenen Zeit ein, die er mit Ironie und Witz aufspießt.
Nicht nur im Auftreten Jesu, auch in dem der anderen Akteure wurde der Text des Mk der Deutung zuliebe an die Erwartung frommer Gemüter angeglichen. Er wurde gleichsam geheiligt, aus kirchlicher wie aus seelsorgerlicher Perspektive nachvollziehbar.
Im Fall des Aussätzigen zeigt der Patient selbst mehrere Probleme zugleich, wenn er zu Jesus kommt und ihn nicht etwa um Heilung bittet oder gar um endzeitliche Rettung, sondern ihn zu seiner Reinigung aufruft (παρακαλων, 1,40f).
Schon in der lateinischen Übersetzungstradition wurde aus dem Aufruf eine flehende Bitte (deprecans, zu sehen auf dem Bildausschnitt der Gutenberg-Bibel in der vorletzten Zeile).
Der Vulgata folgten die deutschen Übersetzungen, in denen der Patient ebenfalls bittet, freilich mit Worten, die alles andere sind als eine flehende Bitte: Wenn du willst, kannst du mich reinigen. Vergleichbare Aufrufe sind bezeichnend für die Paulus-Satire in Mk 5 (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-des-sog-besessenen-von-gerasa-mk-5).
Das wenig demütige, um nicht zu sagen unverschämte Auftreten des Patienten hat schon in frühen Handschriften zu der Tradition geführt, wenigstens einen Kniefall zusätzlich in den Text einzufügen (και γονυπετων, 1,40). Gleichwohl ist diese in die Vulgata und über sie in deutsche Bibeln übernommene Demutsgeste unpassend (vgl. Bild, letzte Zeile: genu flexo).
Das Verhalten dieses zornigen Jesu ist auf verschiedene Weise erklärbar. Es könnte seinen Grund in der Gesetzlosigkeit des Patienten haben, in dem Problem also, dass der die Weisungen der Tora nicht befolgt, wenn er trotz seiner Hautkrankheit zu ihm kommt. Dann aber dürfte Jesus ihn umgekehrt nicht berühren (1,41).
Der Grund ist offensichtlich ein anderer. Zu Beginn beruft der Patient sich auf den Willen Jesu, um am Ende nur das zu tun, was er selbst will (1,45). Die vermeintliche Geschichte der Heilung ist die Geschichte eines Ungehorsams, der am Ende genau jenen Unglauben bewirkt, den Mk im Kontext jüdischer bzw. judäochristlicher Akteure aufspießt.
Die Zielrichtung ist eindeutig. Die Generation, die Jesus zuerst verkündet, ist von ihm dazu nicht autorisiert, geschweige denn ausgesandt. Die Spitzen richten von Anfang an sich gegen die erste Apostel-Generation, gegen die (Pseudo-)Apostel der Judäochristen, insbesondere gegen den sog. Apostelfürsten Petros.
Die Geschichte des Aussätzigen mündet jedenfalls in die Pointe, dass der das Wort, das Jesus selbst erst nach ihm sagen kann (2,2), entgegen der so ausdrücklich beteuerten Betonung des Willens Jesu selbstherrlich verkündet und verbreitet (1,45).
Die Folge ist ein zwangsläufiger Wechsel im Aufenthaltsort; durch den Kontakt wird Jesus zum Ausgestoßenen, anstatt selbst das Wort sagen und verbreiten zu können. Der kultisch erst unreine, doch von ihm gereinigte Mensch tritt als Verkündiger an seine Stelle.
Das Problem unpassender Verkündigung greift die anschließende Geschichte auf. Sie beginnt mit der eigentümlichen Angabe des Mk, derzufolge tagelang gehört wurde, dass Jesus im Hause sei.
Die spätere Übersetzungstradition hat das plausibel gemacht, zugleich aber die Pointe zerstört, indem die Zeitangabe tagelang auf das Eintreffen Jesu bezogen wurde (Und nach [einigen] Tagen ging er wieder nach Kapharnaum; 2,1).
Hier der entsprechende Textausschnitt der Vulgata in der Version der Gutenberg-Bibel (et iterum intravit Capharnaum post dies : et [sic!] auditum est quod in domo esset)

Weitere Angaben zu der so kunstvoll wie ironisch erzählten Geschichte sind zu finden unter https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-des-paralysierten-mk-2-1-13.
Zu einigen der Übersetzungsfehler in deutschsprachigen Bibel-Übersetzungen hier noch ein kleiner zusammenfassender Überblick:
1,40: Der Aussätzige bittet nicht und fällt auch nicht auf die Knie (s.o.).
1,41: Jesus hat kein Mitleid mit ihm, sondern Wut (s.o.).
1,43: Jesus schickt ihn nicht weg; er wirft ihn hinaus (s.o.).
1,45: Der Geheilte bzw. Gereinigte geht nicht (von Jesus) weg, sondern heraus.
Das ist von allegorischer Bedeutung; möglicherweise verlässt er die jüdische Welt, um sein eigenes Thema zu verkünden und zu verbreiten, beides gegen den Willen Jesu.
2,1: Nicht: Es wurde bekannt, sondern: Es wurde gehört oder auch Man hörte. Der entscheidende Begriff ist der des Hörens, der mit dem Sehen im letzten Vers korrespondiert (2,12), der auf spätere Hör- und Seh-Probleme vorausweist und damit auf die Schein-Heilungen eines Tauben und eines Blinden (Petros; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-in-der-bibel-mk-8-22ff-jesus-heilt-einen-blinden).
2,1: Nicht: Und nach einigen Tagen kam Jesus …, sondern: tagelang hörte man (s.o.). Was es da zu hören gibt, ist einzig der unbestätigte Hinweis auf die längere Anwesenheit Jesu im Haus (des Simon Petros? vgl. 1,29). Ob man dort auch das Wort Jesu hörte, ist fraglich.
2,2: Das von Luther gegen Mk und die Vulgata eingefügte draußen übersieht das allegorisch zu deutende Bild der von Menschen belagerten Tür (vgl. 1,33), einer für Mk typischen Anspielung auf den erfolgreichen Menschenfänger, letztlich aber schlafenden Türhüter Petros.
2,3: Das Krankheitsbild ist unklar; geprägt ist es durch die Deutungskonvention, der Patient leide an Lähmung. Das aber entspricht nicht dem (ironischen) Text des Mk, bei dem die Muskelprobleme einer Erschlaffung entsprechen (vgl. Jes 35,3). Der Paralysierte hat Jesaja zufolge weiche Knie, weshalb er getragen wird von Vieren.
2,5: Jesus spricht den ihm gegenüber sprachlosen Patienten barsch mit dem Wort Kind an, einem bei Mk typischen Ausdruck für Judäochristen (τεκνον, vgl: https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-k-kinder).
2,9: Der im Deutschen übliche Ausdruck (sind vergeben) suggeriert Vorzeitigkeit; die Zeitstufe bei Mk ist die des Präsens (werden vergeben).
2,9: Im Text des Mk gibt es ursprünglich nur zwei Imperative (Wach auf und lauf herum).
Das komplexe Bild des Sofa-Aufhebens wurde hier schon in frühen Handschriften eingeschoben; bei Mk kommt erst mit dem ausdrücklichen Befehl in 2,11 zur Sprache.
2,11: Das Möbelstück ist nicht das vom Erzählablauf her naheliegende Bett (Kline, vgl. Mt 9,2), geschweige denn eine Pritsche, Bahre oder dergleichen. Es ist eine nur in vornehmen Häusern übliche Liege zum Ausruhen, vergleichbar unserem Sofa. Zugleich ist es eine ironische Anspielung auf das Kreuz, das die Nachfolger Jesu aufheben sollen (8,34).
2,11: Die einleitend-feierliche Formel (Ich sage dir), die in Spannung steht zur ausführlichen Rede-Einleitung zuvor, ist möglicherweise eine nach-mk Einfügung, übernommen aus 5,41 oder aus der Parallele des Lukas (Lk 5,24). Sie könnte auch szenisch zu deuten sein und einen Richtungswechsel markieren: Jesus wendet sich betont dem Patienten zu.
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