Ceterum censeo: Hatte Jesus Freunde?
Aktualisiert: 19. Sept.
Aus Gründen, die noch zu benennen sein werden, halte ich es für falsch, wenn in der akademischen oder der kirchlichen Theologie…
…die Jünger als die Freunde Jesu bezeichnet werden.
Im Evangelium nach Johannes wird klar beschrieben, was Freundschaft zu Jesus bedeutet. Da spricht Jesus seine Freunde direkt an (Joh 15,14f), die er dadurch qualifiziert, dass sie tun, wozu er sie beauftragt. Die freundschaftliche Liebe ist schon bei Mk ein Thema. Wer aber sind hier die Freunde Jesu?
Die Zwölf sind es jedenfalls nicht, anders als es oft in Kinder-Gottesdiensten dargestellt wird. Sie sind bei Mk vielmehr diejenigen, die mit ihren versteinerten Herzen Jesus nicht erkennen und sein Wort nicht verstehen, die also genau das nicht tun, wozu er sie beauftragt.
Die Frage stellt sich dennoch, etwa für den Bruderkuss des Judas (14,45), der sich als Zeichen besonderer Freundschaft interpretieren lässt. Den Oberpriestern gibt Judas eine rätselhafte Deutung dieses Signals: Wen auch immer ich lieben soll, der ist (14,44).
Ihnen gegenüber stellt er Jesus als Gott dar (der ist! vgl. Ich bin! 6,50; 14,62), ihn selbst aber nennt er Rabbi, spricht ihn also - uns seiner Perspektive mit Recht - als einen Menschen an (14,45). Auf diese doppelte Weise setzt Judas das Doppelgebot der Liebe um (12,30f), mit der Folge, dass Jesus in die Hände derer ausgeliefert wird, die ihn als Christus verurteilen und töten wollen.
Dass der Christus-Titel Ausdruck einer falsch verstandenen Liebe zu Jesus ist, zeigt der Rahmen der Passionsgeschichte am Verhalten einzelner Frauen, die ihn zum Begräbnis salben (14,8) oder posthum im Grabdenkmal salben wollen (16,1). Ihre Liebe zu Jesus wird durch je eine Anspielung auf das Hohelied angedeutet (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/maria-magdalena-geliebte-jesu-oder-ehefrau).
Am Ende können sie, die Jesus aus Galiläa gefolgt waren (15,41), nur panisch vor dem drohenden Gericht fliehen (16,7f), wie bereits die Männer anlässlich eines Jesus-Worts geflohen waren (14,50). Sie alle kommen nicht einmal mehr als Dienende in Frage, geschweige denn als Freunde Jesu.
Das sog. Doppelgebot der Liebe, das allgemein als die zentrale Lehre Jesu gilt, gibt eine wichtige Option für die Jesus-Beziehung vor. Mk legt es einem pointierten Dialog mit einem einzelnen Schreiber zugrunde. Die Pointe besteht darin, dass der ungewollt eine Bedingung für das Königtum Gottes formuliert, indem er die Seele (bzw. das Leben) aufzuzählen vergisst (12,33). Ein ausführlicher Beitrag dazu folgt.
Die jüdische Bundes-Theologie hält noch eine andere Beziehungs-Option bereit. Jesus benennt zwar den (alten) Bund mit den Zwölfen (14,23), verheißt aber sein Trinken von der Frucht des Weinstocks für das Königtum Gottes (14,25), ohne ihnen einen neuen Bund in Aussicht zu stellen (vgl. 1 Kor 11,25).
Die Flucht der Zwölf lässt sich als Bruch dieses mit dem Kelch besiegelten Bundes verstehen, dessen Gültigkeit ohnehin fraglich ist, weil sie alle schon vor dem (ironisch?) deutenden Kelch-Wort Jesu getrunken hatten (14,24), und weil er selbst inzwischen die Aufhebung von seinem Vater erbeten hatte (14,36).
Nur implizit und nur bei besonderen Einzelpersonen könnte die Freundschaft zu Jesus ein Thema sein, so etwa im kurzen Auftritt des folgsamen Levi, einer Kontrastfigur zu den Zwölfen. Doch bleibt er auf die Notiz des Aufstehens und der Nachfolge beschränkt (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wer-war-der-levi-des-mk).
Bei dem namenlosen Einen, einer Kontrastfigur zu Petros, heißt es hingegen ausdrücklich, dass Jesus ihn liebte (10,21). Trotzdem kann auch er nicht als sein Freund gelten, weil er nicht tut, wozu Jesus ihn beauftragt, sondern wegen seiner vielen Güter weggeht (10,22). Auch dazu folgt demnächst ein Beitrag.
Schließlich kommt der vornehme Ratsherr Joseph aus dem fiktiven Ort Arimathaia zum letzten Liebesdienst. Er wagt es, Pilatus um den Leib Jesu zu bitten, bekommt aber von Pilatus die Leiche geschenkt, die für das von ihm erwartete Königtum wertlos ist (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wer-war-joseph-von-arimathaia).
Fazit: Der Jesus des Mk hat keine Freunde, mit Ausnahme der Leser:innen, die seinem Wort folgen und ihm vertrauen. Wie es demgegenüber mit den Feinden aussieht, ist ein anderes Thema.
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