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Übersetzungsfehler: Wird der Mann seiner Frau anhaften? (Mk 10,7)

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Das Thema Ehescheidung hält bei Mk enorme Schwierigkeiten bereit, allein schon durch die schwankende Text-Überlieferung. Dessen ungeachtet steht in der Tradition der Kirche fest, dass Jesus die Scheidung verboten habe. Als Grundlage dient dafür seit jeher das Votum: Was Gott [unter ein Joch] zusammengespannt hat, soll ein Mensch nicht trennen (10,9).


Matthäus ist der einzige biblische Autor, der die Geschichte samt dem scheinbar eindeutigen Votum von Mk übernommen hat (Mt 19,6). Bei ihm kann es auch keinen Zweifel daran geben, wer die Frage aufwirft. Matthäus zufolge sind es die Pharisäer, die Jesus nach der Zulässigkeit der Scheidung fragen, weshalb er die Geschichte zu einem ausführlichen Streitgespräch mit ihnen umdeutet.


Anders bei Mk, der in einem vorbereitenden Satz den Kontext zur Lehre Jesu betont (10,1). Als Zuhörer werden vorab Menschenmengen von Judäa und von Jenseits des Jordan genannt. Außerdem treten Pharisäer auf Jesus zu, die mit ihrer Frage, ob die Ehescheidung erlaubt sei, ihn auf die Probe stellen wollen (10,2).


Jüdischerseits wurde das damals ausführlich diskutiert. Wird Jesus darauf rechtskonform antworten? Die Situation der Prüfung legt es nahe, dass sie auch bei Mk durch Pharisäer veranlasst sein muss, die eigentümlicherweise in manchen Handschriften fehlen. Menschenmengen könnten Jesus kaum mit einer solchen Frage auf die Probe stellen.


Die Frage an sich ist klar – und schon durch ein einfaches Ja oder Nein zu beantworten. Jesus aber fragt zurück, was Mose ihnen aufgetragen habe (10,3). Der Tora zufolge ist die Scheidung erlaubt, allerdings nur seitens des Mannes (Dtn 24,1.3). Nach jüdischem Recht war es für eine Frau nicht möglich, sich scheiden zu lassen; nach römischem Recht schon.


Wird Jesus den Pharisäern also nach jüdischem oder nach römischem Recht antworten? Je nachdem sind verschiedene Möglichkeiten rechtskonform. Seine Antwort dazu gibt Jesus allerdings nicht den Pharisäern, sondern erst danach, in einem separaten Lehr-Gespräch im Haus (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markusevangelium-h-haus).


Hier sind es die (judäochristlichen) Schüler, die seine Lehre zuvor offenbar nicht gehört oder nicht verstanden haben und ihn eigens dazu befragen. Doch seine Antwort ist – wie so oft bei Mk – uneindeutig. Sie besagt, dass jemand, der den Ehepartner verlässt und einen anderen heiratet, die Ehe bricht, was für den Mann und die Frau gleichermaßen gilt.


Das aber ist eine bloße Feststellung, die kasuistisch offen hält, ob und unter welchen Umständen eine Scheidung möglich sein könnte, die nicht als Ehebruch zu werten ist.


Jesus äußert sich also indifferent, eröffnet aber mit dem Blick auf die Scheidung bzw. die Wiederheirat der Frau seinen Schülern die Option, einen Rechts-Fall auch aus römischer, nicht allein aus jüdischer Perspektive zu beurteilen. Matthäus lässt diese Option nicht zu (Mt 19,9).


Die Frage der Pharisäer, die dagegen die absolute Geltung der Tora einfordern, schließt der Jesus des Mk zuvor mit dem besagten Votum ab: Was Gott zusammengespannt hat, soll ein Mensch nicht trennen. Ist das ein eindeutiges Urteil gegen die Ehescheidung?


Für die gesamte Auslegungs-Tradition steht das außer Frage. Allenfalls wäre der Einwand denkbar, dass da nichts über die Ehe ausgesagt ist. Doch gegen welche Trennung könnte die Stellungnahme sonst gerichtet sein?


Das betrifft das bisher ungelöste Problem der Auslegungs-Geschichte bzw. die komplizierte Argumentationsfigur, mit der Jesus die Ablehnung schöpfungstheologisch begründet. Tatsächlich zitiert Jesus ausführlich aus der Schöpfungsgeschichte (Gen 2,24); unklar ist freilich, wie das Zitat zu verstehen ist.


Noch einmal ein Schritt zurück. Die Pharisäer hatten eingangs gefragt, ob die Scheidung seitens des Mannes erlaubt sei. Anstatt ihnen zuzustimmen, stellt Jesus ihnen die Gegenfrage, die sie selbst Tora-gemäß beantworten. Ihr Rechtsfall scheint also mit dem Gebot des Mose geklärt zu sein, wobei der Bezug auf Gott fehlt.


Das ist der Ausgangspunkt des argumentativen Exkurses. Nachdem Jesus ihnen vorhält, dass Mose das Gebot gegen ihre Hartherzigkeit geschrieben habe (dass es also nicht auf Gott beruht), zitiert er seinerseits ohne den Bezug auf Gott aus der Schöpfungsgeschichte (Gott ist nur implizit Subjekt).


Das Zitat aus der Septuaginta schließt Mk adversativ an, kann also nicht als unmittelbare Begründung dienen. Es lautet ungefähr so:


Aber vom Schöpfungsanfang an schuf er sie männlich und weiblich.

Deswegen wird ein Mensch seinen Vater und die Mutter zurücklassen […].

Und die zwei werden zu einem Fleisch da sein.

Daher sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch.

Was Gott zusammengespannt hat, soll ein Mensch nicht trennen.

(10,6-8 zitiert Gen 2,24 LXX)

 

An der Stelle der Klammer fehlt ein im ursprünglichen Kontext der LXX wichtiger Halbsatz: [und anhaften wird er seiner Frau]. Der ist in manchen Mk-Editionen bzw. -Übersetzungen wiedergegeben, in anderen nicht. Wichtig wäre er für den Anschluss, sofern nicht Vater und Mutter zu einem Fleisch da sein sollen, sondern Mann und Frau.


Mit den Mitteln der Textkritik allein ist kaum zu entscheiden, ob der Halbsatz im Nachhinein eingefügt wurde – oder ob er umgekehrt im Verlauf der Textgeschichte entfallen ist – auch in wichtigen Handschriften.

 

So oder so kann ein bloßer Schreibfehler nicht der Grund dafür sein. Daher greift hier das Kriterium der sog. Lectio difficilior, derzufolge die  schwierigere Fassung  die ursprüngliche sein muss, hier ist das also die kürzere Fassung ohne die Klammer. Was das konkret heißt, geht weder aus der Text-Überlieferung hervor, noch aus der Sekundärliteratur.

 

Nochmal anders gefragt: Gegen welche Trennung könnte der Jesus des Mk sich mit seiner schöpfungstheologischen Argumentation gerichtet haben?

 

Es ist immerhin denkbar, dass Mk das Schriftzitat allegorisch verstanden wissen wollte, wie es auch bei der Familie Jesu der Fall ist (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-b-bruder-brüder). Damit könnte es ganz anders zu deuten und etwa folgendermaßen aufzulösen sein:

 

Ein Mensch (Adam bzw. Jesus) wird seinen Vater (Gott) und die Mutter (die Juden) zurücklassen. Beide sind zu einem Fleisch da, nämlich für die eine Kirche Jesu aus Judäo- und Völker-Christen. Diese beiden Ethnien sind es, die ein Mensch nicht trennen soll.

 

So gesehen wäre der Halbsatz tatsächlich unpassend und seine Einfügung nur eine korrigierende Angleichung an den Wortlaut der Schöpfungsgeschichte. In der lateinischen Bibeltradition ist er zu lesen (et adherebit ad uxorem suam), auch in Luther 1534 (und wird seinem Weibe anhangen, siehe Bild oben) – und sogar noch in der Luther-Ausgabe von 2017.

 

Der allegorischen Deutung zufolge geht es bei Mk zunächst nur vordergründig um die Frage der Ehescheidung, die Jesus erst seinen Schülern gegenüber indifferent beantwortet. Es geht um die grundsätzliche Zusammengehörigkeit der Christen, die Gott unter ein Joch gespannt hat. Die deshalb nicht getrennt werden sollen, nicht durch Jesus, noch durch Petros.


Dieses Thema wird unmittelbar danach in der Geschichte der Kindersegnung noch einmal aufgenommen, wenn die (judäochristlichen) Schüler die gesegneten (völkerchristlichen) Kinder aufnehmen sollen (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-k-kinder).


Das wiederum bestätigt die These dieses Blogs, dass Mk seine Jesus-Erzählung nicht erst im Kontext des Jüdischen Krieges um das Jahr 70 n. Chr. geschrieben hat, sondern schon anlässlich des sog. Antiochenischen Zwischenfalls (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wann-wurde-der-text-des-mk-geschrieben). Damit wäre sie einige Jahre früher entstanden als bisher angenommen.

 
 
 

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