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Worum geht’s eigentlich? – Grundlagen-Bestimmung (3/3)

martinzoebeley

Aktualisiert: 25. Okt. 2022



Hier soll es darum gehen, warum der Text des Mk so rätselhaft ist und worauf es ihm dabei eigentlich ankommt. In zwei Beiträgen habe ich das Thema bereits aufgegriffen, zunächst bei der Frage nach der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des Textes, dann bei der nach seinem Witz.


Beide Beiträge gehen aus je unterschiedlicher Perspektive auch darauf ein, warum der Text so gründlich missverstanden oder bewusst fehlgedeutet wurde. (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wozu-dient-dieser-blog und https://www.skandaljuenger.de/post/hat-jesus-gelacht-grundlagen-bestimmung-2-3).


Dazu eine einfache These: Der Text wurde missverstanden, weil das Missverstehen das eigentliche Thema des Mk ist. Er macht sich lustig über alle diejenigen, die meinen, Jesus erkennen und verkündigen zu können, als seien sie dazu beauftragt. Für Mk ist das Gegenteil der Fall, weshalb er die Legitimation vor allem der Apostel in Frage stellt.


So lassen sich viel diskutierte Eigenheiten des Textes, etwa die sog. Schweigegebote, einfacher und auch plausibler erklären als mit der theologisch mühsamen Konstruktion von Verhüllung und Offenbarung oder gar mit der eines angeblichen Messiasgeheimnisses.


Die Zwölf nimmt Mk besonders oft ins Visier, danach erst folgen andere Gruppen von Akteuren wie die Schreiber oder die Sadduzäer (12,38ff; 12,18ff). So kann das Personal nicht schematisch in Freunde und Gegner Jesu aufgeteilt werden. Die meisten Probleme werden im Kontext der Schüler bzw. der Zwölf erzählt, insbesondere des Führungstrios von Petros, Jakobos und Johannes, allen voran aber des Petros.


Den Zwölf stellt Mk die Unreinen Geister zur Seite, die im Unterschied zu ihnen und zu allen anderen Akteuren Jesus just vor der sog. Einsetzung der Zwölf richtig bekennen. Sobald sie Jesus betrachten, fallen sie vor ihm hin und nennen ihn den Sohn Gottes (3,11). Bei dieser zweiten Begegnung mit ihnen wirft Jesus sie nicht hinaus, verwarnt sie aber sehr, dass sie ihn nicht öffentlich bekannt machen (3,12, vgl. 1,23ff).


Seitens der Zwölf folgen solche Bekenntnisse in Wort und Tat nicht, daher gibt es auch keinen Anlass zur Verwarnung, dafür aber einen zur Drohung (3,28ff). Auffällig bei ihnen ist stattdessen das Misstrauen (4,40) und die Furcht vor Jesus (4,41), die an das Motiv der Ehrfurcht anknüpft.


Jedenfalls ist das Problem falscher Jesus-Erkenntnis zentral für Mk und kann nicht pauschal als Jüngerunverständnis beiseitegeschoben werden. Die Zwölf sind so unfähig, wie alle anderen Akteure auch, Jesus angemessen zu erkennen, bis zuletzt. Anstatt anderen die Erkenntnis zu ermöglichen, verhindern sie sie, sowohl durch ihre Lehre, als auch durch ihr Verhalten. Das wird besonders deutlich im Kontext der beiden Sättigungs-Geschichten (6,34ff; 8,1ff; der übliche Begriff Speisungs-Wunder führt ebenso in die Irre wie die Vorstellung einer Brot-Vermehrung).


Vom Text her nicht gedeckt ist die Theorie eines Messiasgeheimnisses, demzufolge sie Jesus erst vom Kreuz her und nach Ostern in seiner wahren Würde erkennen und verkündigen können. Vor der Kreuzigung sind sie alle geflohen, anlässlich einer deswegen abgebrochenen Schriftauslegung Jesu (14,50), und Ostern findet bei Mk nicht statt. So bleiben sie außen vor bei den beiden entscheidenden Ereignissen und ihrer Deutung.


Ohne das hier im Detail zu belegen: Wie sehr ihre Lehre ins Leere läuft, zeigt die Geschichte ihrer Aussendung, die nichts am Ausgangs-Problem ändert, an den verbreiteten falschen Jesus-Bildern, die zu Beginn der Herodes-Geschichte in einem dreifachen Spektrum von Meinungen aufgezählt werden (6,14ff).


Hatte man da zunächst gemeint, durch Jesus wirkten die Machttaten des aus den Toten aufgeweckten Johannes, er sei der wiedergekehrte Elias oder irgendeiner der Propheten (6,14.15), so meint man das nach der Aussendung noch immer. Jedenfalls geben die Zwölf auf die Frage Jesu, für wen man ihn halte, zur Antwort: für Johannes den Eintauchenden, für Elia oder für einen der Propheten (8,28).


Das ist das offene Eingeständnis, dass ihre Aussendung vergeblich war, mehr noch, es zeigt, dass selbst sie als Schüler das Wichtigste über Jesus nicht gelernt haben, wenn derart disparate und falsche Aussagen unwidersprochen bleiben.


Der Grund dafür wird von Jesus mit Jesaja klar benannt: Sie haben Ohren und hören nicht, und haben Augen und sehen nicht (8,18 vgl. Jes 6,10). Sie wollen Jesus nicht gehorchen und tun nicht, was sie als Apostel tun sollen. Dabei besteht die Verpflichtung von Gesandten darin, einzig das zu tun, wozu sie beauftragt sind.


Auf die Erkenntnisdefizite reagieren die Heilungsgeschichten eines Gehörlosen und eines Blinden (7,32ff; 8,22ff). Mit einiger Ironie zeigen sie die vergeblichen Bemühungen Jesu und deren Auswirkungen. Dass hinter den beiden nur bedingt heilbaren Patienten die Person des Petros erkennbar ist, wird in einem eigenen Beitrag zu zeigen sein.


Als Apostel disqualifizieren die Zwölf sich durch ihren Ungehorsam selbst; daher verwendet Mk die Bezeichnung Apostel für sie nur ein einziges Mal, bei der Rückkehr nach ihrer Aussendung, um sie von den Schülern des Johannes abzusetzen und ironisch ihre Disqualifizierung anzudeuten (6,30).


Als Beispiel dazu eine weitere der vielen Pointen. Zur Lehre sind die Zwölf von Anfang an nicht befugt. Deswegen bleibt es nicht bei der ursprünglichen Absicht Jesu, sie für zwei Ziele auszusenden, nämlich zu verkündigen und Dämonen hinauszuwerfen (3,14.15).


Zu ihrer Aussendung wird der Auftrag deutlich reduziert; da sollen sie nur noch die Vollmacht über Unreine Geister haben (6,7), also nicht mehr verkündigen, geschweige denn lehren. Das und noch mehr tun sie trotzdem und auf eigene Faust (vgl. 6,30), mit dem entsprechenden Ergebnis und gefolgt von der ironischen (Nicht-)Entsendung an einen einsamen Ort, der schon vor ihrem Eintreffen nicht mehr einsam ist (6,31f).


Dass ihre Aussendung eine Farce ist, zeigen die vielen witzigen Andeutungen (z.B. 6,10f). Der Witz liegt naturgemäß nur auf der Deutungsebene, wie bei allen satirischen Aussagen des Mk. Seine verrätselte Kritik am judäochristlichen Führungspersonal ist nur bei entsprechender Auflösung zu verstehen. Das niederschmetternde Ergebnis ihrer Aussendung ist eine Art von Treppenwitz, der sich nur bei genauer Lektüre erschließen lässt.


Die genannten, von den Schülern unwidersprochen referierten Jesusbilder (s.o.) werden von Jesus nicht kritisiert und vom Erzähler nicht kommentiert. Die Leser:innen sind selbst zur Deutung aufgefordert, dürften sich aber schwer tun, diesen Unsinn zu glauben, den Herodes einfach so als Erklärung hinstellt, dass nämlich Jesus identisch sei mit dem erst kürzlich von ihm selbst (sic!) geköpften Johannes (d. T., 6,16).


Jedenfalls machen die Schüler sich diese Erklärung zu eigen anstelle der ursprünglich verbreiteten, ebenfalls unsinnigen Auffassung, die immerhin noch vorstellbar war: Dass die Machttaten des aufgeweckten Johannes durch Jesus wirkten (6,14). Also wird ein an sich unsinniges Jesus-Bild durch die Lehre der Zwölf noch unsinniger. Das von den Schülern referierte Meinungsspektrum scheint der absolute Tiefpunkt der Jesus-Erkenntnis zu sein.


Wäre da nicht das Jesusbild, das danach zur Sprache kommt. Auf die Frage Jesu, für wen sie (die Schüler) ihn halten, reagiert Petros wie ein Klassensprecher mit dem unkommentierten und nur scheinbar unproblematischen Satz: Du bist der Christos (8,29).


Diese Behauptung von Salbung und Königtum steht bewusst im Zentrum des Textes; sie wurde und wird allgemein als Messiasbekenntnis bezeichnet. Tatsächlich ist sie nicht nur der definitive Tiefpunkt der Jesus-Erkenntnis, sie ist der Wendepunkt des Weges, der Jesus dafür ans Kreuz führt.


In der Lesart der kirchlichen wie der akademischen Theologie ist das vermeintliche Bekenntnis inhaltlich richtig, aber defizitär. Mit seiner Deutung im Rahmen der Messiasgeheimnis-Theorie wird es fehlinterpretiert, wie auch der Vorwurf bagatellisiert wird, den Jesus erhebt, wenn er Petros nach dessen Einwand gegen den Willen Gottes als Satan anspricht (8,33).


Der Christos-Titel ist der Grund für den Weg Jesu ans Kreuz. Zuvor führt er zum Haupt-Anklagepunkt in beiden Prozessen. Mit den Worten der Christos-Behauptung fragt der Oberpriester Du bist der Christos? (14,61), und Pilatus fragt, ob Jesus der König der Judäer sei (15,2). Auf beide Fragen reagiert Jesus ausweichend (sic! 14,62; 15,2). Nach den beiden Prozessen wird er zum Anlass einer sarkastisch erzählten Königs-Travestie (15,20).


Das Bild eines jüdischen Königs skizziert Mk am Negativ-Beispiel des Herodes, den er paradigmatisch zum König aufwertet (4,14 u.ö.). Diese Geschichte, die im Zentrum der Aussendung steht, zeigt einen opportunistischen Provinzherrscher, der sich nicht durch Macht oder Meinung auszeichnet. So bleibt unklar, wer tatsächlich schuld ist am Tod des Johannes, er oder Herodias oder ihre Tochter oder einfach nur die Umstände (6,16ff).


Diese Geschichte ist außerdem ein Beleg dafür, dass historische Maßstäbe bei Mk nicht greifen, da Herodes (Antipas) kein jüdischer König war und Johannes laut Josephus erst später hingerichtet wurde. Mk zeigt seinen Herodes besonders betont (4x) als einen König, der Johannes enthaupten lässt, bevor dessen Haupt bei einer Mahlfeier auf einem Tablett gereicht und weitergegeben wird (6,28). Das ist schwarzer Humor – verbunden mit komplexen Anspielungen auf die Mahlfeier Jesu.


NB: Angespielt wird dabei auch auf Petros, den Ersten (hebr. das Haupt) der Zwölf, und damit auf seinen aramäischen Namen (Kepha). Der kommt mit dem griechischen Wort für Haupt (kephalē) in den Blick – sei es beim Kopfkissen im Heck des Schiffes, beim Stein, der zum Haupt-Stein wird oder beim Hauptort Golgotha, dem Anti-Kapitol, an dem Jesus gekreuzigt wird (4,38; 12,10; 15,22).


Der jüdische Messias-Titel seiner judäochstlichen Nachfolger und damit das regional begrenzte Königtum Jesu ist der eigentliche Kritikpunkt des Mk (vgl. Ex 19,6). In Opposition dazu setzt er an den Anfang programmatisch den aus der jüdischen Tradition übernommenen Begriff des Königtums Gottes (1,14); am Ende ist der absurde Titel König der Judäer der Grund dafür, dass Jesus ein zweites Mal gekreuzigt wird (15,25 vgl. 15,24). Dafür haben die Oberpriester und Schreiber mit dem richtigen Königs-Titel nur Spott übrig (König Israels, 15,31),


Den Christos-Titel oder auch seine absurde Variante als Unsinn wahrzunehmen, war und ist unmöglich für eine Kirche, die das Bekenntnis zum Christus Jesus und zu dem bei Mk ironischen Kreuzestitel gegen Mk aufrecht erhalten will (vgl. dagegen Joh 19,19 bzw. die Abkürzung INRI). Im Blog wird es Thema eines separaten Beitrags sein, ebenso die bereits erwähnte These, dass Mk den Christos-Titel in der Überschrift durch das Attribut des Chrēstos ersetzt (1,1; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-a-anfang).


Wie die Christos-Behauptung des Petros im Zentrum des gesamten Textes steht, so steht dessen Leugnung im Zentrum der Passion und dort wiederum im Zentrum der beiden Prozesse gegen Jesus. Die überragende Erzählkunst, mit der die Symmetrie im Großen ebenso wie die vielen Details im Kleinen darauf ausgerichtet sind, macht es undenkbar, dass Mk einen vorhandenen Passionsbericht übernommen und verarbeitet habe.


Freilich geht es Mk nicht nur um den Witz, mit dem er die Erkenntnisfähigkeit der Akteure in Frage stellt. Es geht ihm darum, dass die Leser:innen sich von ihnen ex negativo absetzen und Jesus richtig erkennen können. Das war und ist erst recht unmöglich für eine Kirche, die das Bild zwölf heiliger Apostel sich zu eigen gemacht hatte und gegen Mk aufrecht erhalten will.


In der Forschung werden die unzureichenden oder unsinnigen Meinungen der Akteure und damit die verschiedenen Sichtweisen auf Jesus vielfach historisch erklärt. So werden ihre Aussagen indirekt noch bestätigt, als könnten die Leser:innen ihren Unsinn als historische Fakten akzeptieren, ohne die ganz eigene Diktion des Mk, die uneigentliche Sprache der Ironie wahrzunehmen, ohne seine Symbole zu entschlüsseln und seine Rätsel zu lösen.


Dabei ist die Erkenntnis Jesu eigentlich sehr einfach, mag sie auch den Akteuren und damit den historischen oder fiktiven Zeitgenossen Jesu sowie manchen ihrer modernen Interpreten unzugänglich sein. Das ist für Mk entscheidend: Jesus im Brot der Mahlfeier zu erkennen. Das Brot ist dasjenige Symbol des Mk, das als solches allgemein akzeptiert wird, weil es in der Liturgie beheimatet ist. Doch lassen sich fast alle wichtigen christlichen Metaphern bei ihm finden.


Das Geheimnis Jesu im Brot ist das Eine, worum geht es Mk eigentlich geht. Das Andere ist: Die Generation der Augenzeugen Jesu hat das nicht verstanden. Das blieb und bleibt nach Mk allen (Jesus in den Tod) Nachfolgenden vorbehalten, die im Brot verborgen den endzeitlich rettenden Herrn (Kyrios) sehen können.


Wie sehr der gesamte Text des Mk auf die Erkenntnis Jesu in der Mahlfeier ausgelegt ist, wird ebenfalls noch Thema eines Blog-Beitrags sein. Der entscheidende Schlüssel dafür steht ausnahmsweise nicht bei Jesaja, sondern im Psalter (Ps 34,9; LXX: 33,9): Schmeckt und seht, dass Chrēstos der Herr ist.

 
 
 

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