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Aus dem kleinen ABC zum Markus-Evangelium: A – Anfang

Aktualisiert: vor 2 Tagen


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Um eine so kunstvoll komponierte und zugleich rätselhafte Erzählung wie die des Mk interpretieren zu können, ist es von entscheidender Bedeutung, ihren ersten Satz richtig zu verstehen. Das wurde im Fall des Mk-Textes durch die – im Wortsinn – christliche Überlieferung erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht.


Hier soll die Aussage des ersten Satzes (1,1) in den Blick genommen werden, nicht die grammatikalische Struktur der Satzkonstruktion als Ganze. Die Frage, wie der folgende Satzanschluss zu verstehen ist, wurde und wird in der Wissenschaft ausführlich diskutiert. Davon hängt unter anderem die Entscheidung ab, ob der erste Satz eine Überschrift ist oder aber ein einführender Nominalsatz, gefolgt von einer Zitateinleitung und einer Kette von Jesaja zugeschriebenen Schriftzitaten. Diese Frage steht, wie gesagt, hier nicht im Fokus.


Sie ist dennoch bemerkenswert, weil schon der erste Satz auf die jüdischen Schriften rückbezogen ist und eben dieser Rückbezug einen Deutungsrahmen vorgibt, sowohl für den Initialsatz, als auch für den Text des Mk insgesamt. Für eine angemessene Deutung ist daher ein umfangreiches, an den jüdischen Schriften, vor allem an Jesaja geschultes Vorverständnis nötig.


Trotzdem ist dieser erste Satz in den Editionen und Übersetzungen anders wiedergegeben, als Mk ihn formuliert hatte. Der Grund dafür liegt im Text selbst, in seiner ursprünglichen Aussageabsicht. Die richtet sich gegen den Christus-Titel, den Mk durch den im römischen Sklavenwesen verbreiteten Namen Chrēstos (tüchtig, gut) ersetzt.


Aus dem Christus der jüdischen Messias-Tradition wird bei ihm ein römischer Chrestus, aus dem Königs-Titel ein Sklaven-Name. Möglicherweise war im Römischen Reich ein Provinzkönig nicht vermittelbar. Jedenfalls beschreibt Mk mit seiner Jesus-Darstellung nicht die königliche Hoheit eines Menschen, sondern die radikale (Selbst)-Erniedrigung des Gottessohns.


Wohlgemerkt: Textkritisch ist die gegen Petros gerichtete Nennung des Chrestus in 1,1 nicht zu belegen. Der Sklaven-Name ist in den Handschriften ebenso wenig ausgeschrieben wie der stattdessen gesetzte Christus-Titel. Da die sog. Nomina sacra in allen Handschriften abgekürzt sind, steht dort anstelle von Jesus Chrestus (bzw. Christus) jeweils nur ein nichtssagendes Kürzel (ΙΥΧΥ, vgl. Bild oben).


Auch wenn es nicht zweifelsfrei nachzuweisen ist: Den Sklaven-Namen Chrestus hat Mk keineswegs zufällig gewählt. Das Wort Chrēstos wurde nahezu identisch ausgesprochen wie Christos; schon deshalb war es in bewusster Opposition dazu gesetzt und als solche von vorne herein im Text erkennbar.


Damit hängt auch seine Kritik an Petros zusammen, die er bewusst ins Zentrum seiner Erzählung rückt: Wenn Jesus im Nachgang der Christus-Behauptung ihm als dem Satan vorhält, nicht im Sinn zu haben, was Gottes, sondern was der Menschen ist (8,33), nimmt das die (ursprüngliche) Niedrigkeits-Aussage des ersten Satzes auf.


Die Niedrigkeits-Theologie des Mk hat ihren Ausgangspunkt in den jüdischen Schriften, konkret im vierten Lied des Jesaja über den sog. Gottesknecht, der für die Sünden seines Volkes dahingegeben, überliefert wird (Jes 53,12). Stellvertretend muss er, der Sklave Gottes, leiden und sterben. Auf diesen Ausgangspunkt ist der Anfang der guten Botschaft als die Grundlage des Evangeliums Jesu rückbezogen.


Schon das Wort selbst ist ein Rückgriff, sowohl auf Prophetenbücher, die ähnlich beginnen (z.B. Hosea, Hos 1,2 LXX), als auch auf den Anfang der Welt, wie er zu Beginn der Tora besungen wird (Gen 1). Deshalb entspricht dem Anfang bei Mk zweimal die Bestätigung (Es wurde), die dem Es geschah im Schöpfungshymnus entspricht; erst leitet sie die Prophetie des Johannes ein (1,4), dann die Verkündigung Jesu (1,9).


Das Gewicht des ersten Satzes und damit der Fokus des Erzählers lag ursprünglich auf dem ersten Wort Anfang (der guten Botschaft), nicht auf den Hoheits-Titeln des Protagonisten, die wie sein Name nur im Genetiv genannt werden. Im Verlauf der Text-Überlieferung wurde dem Initialwort die vermeintlich korrigierende, doch unschöne Kette von sechs (statt der vier ursprünglichen) Genetiv-Formen angehängt.


In einer deutschen Übersetzung wäre die sogar noch zu verlängern: Anfang der Guten Botschaft Jesu Christi, des Sohnes eines Gottes. Das ist sprachlich unpassend und dogmatisch unsinnig. So widerspricht es der Intention des Verfassers.


Wie die ältesten Handschriften vermuten lassen, wurde die nachklappende Apposition (Sohn eines Gottes) erst später hinzugefügt – gegen den Sprachgebrauch des Mk ohne den bestimmten Artikel. Die Wendung Sohnes eines Gottes ist ebenso unsinnig wie der für Jesus unzutreffende Christus-Titel.


Sie kommt im Text des Mk ein einziges Mal vor (15,39), im sog. Bekenntnis des Hauptmanns am Kreuz Jesu, genauer: ihm gegenüber. Was dieser Zenturio als Zeuge des Todes Jesu angeblich wahrheitsgemäß sagt, ist kein Bekenntnis, sondern ein unangemessenes Zeugnis.


Es entspricht dem Problem aller Akteure des Mk, die Jesus nicht angemessen erkennen. Das eigentlich Unmögliche kann der Zenturio sehen, dass nämlich dem Tod das Zerreißen des Tempel-Vorhangs folgt (15,38), ein Rückbezug auf des Zerreißen des Himmels nach der Tauche (1,10).


Das entscheidende Paradox aber sieht er nicht: Dass nämlich Jesus durch seinen Tod zu Gott erhöht wird, und eben nicht, wie er das behauptet, ein Sohn einer Gottheit war. Mag für ihn als Römer der Kaiser-Titel des Divi filius der Apotheose eines Menschen angemessen sein, gegenüber Jesus und dessen paradox gegenläufiger Bewegung ist er es nicht.


Außedem ist für ein (wahrheitsgemäßes!) Bekenntnis zu Jesus die Imperfektform unzureichend (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/der-hauptmann-und-sein-angebliches-bekenntnis-mk-15-39).


Was Jesus selbst eingangs verkündet (1,14), bezieht sich auf das nahe Königtum, auf die Basileia Gottes, beschränkt sich aber nicht darauf. Mit der Bezeichnung des universalen Königtums Gottes wird ein Topos aus den Schriften Israels (z.B. Ps 22,29; Jes 37,16) in Stellung gebracht gegen ein Königtum, wie Petros es mit dem Christustitel behauptet (8,29, vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/ceterum-censeo-was-bedeutet-das-sog-reich-gottes)


Mit dem Begriff des Evangeliums meint Mk, ohne das zu Beginn schon deutlich zu machen, die gute Botschaft Jesu – und damit zugleich die Überbietung der Botschaft des Johannes. Der hatte 1,4 zufolge nur eine Tauche (in den Tod) verkündet; wörtlich eine Tauche des Umdenkens.


Sein - irreführend als Bußtaufe bezeichneter - Akt ist für den Sündenerlass wirkungslos, da er nur angekündigt wird. Das unterscheidet seine Tauche (mit Wasser) von der des Mächtigeren (Jesus, kraft des Heiligen Geistes, 1,8).


Die Ablösung des Johannes durch Jesus (1,14) lässt ahnen, warum schon das erste Schriftzitat (1,2.3) Jesaja zugeschrieben wird. Das zielt zunächst – mit einem Auftrag an Israel (vgl. Ex 23,20) – auf die Wegbereitung, bevor – mit Jesaja (Jes 40,3) – der in der Wüste vergebliche Auftrag ergeht, den Weg für das Kommen Gottes zu bereiten.


Unausgesprochen bedeutet das, Steine aus dem Weg zu räumen (vgl. Jes 62,10), insbesondere auch Felsbrocken (wie Petros). Mit den Waffen der jüdischen Schriften tritt Mk von vorneherein gegen das Oberhaupt der Judäochristen auf (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wer-war-johannes-der-täufer).


Der Sklavenname des Chrestus war auch durch die jüdischen Schriften legitimiert. So heißt es im griechischen Wortlaut von Ps 34 sinngemäß: Schmeckt und seht, dass Chrestus der Herr ist (Ps 33,9 LXX). Jesus als Kyrios zu sehen, heißt, ihn im Schmecken des Brotes der Mahlfeier als Gott zu erkennen.


Dazu sind nach Mk die Judäochristen, vor allem die Zwölf, so wenig in der Lage wie Nichtjuden, etwa der Zenturio oder gar Pilatus, der den ohnehin falschen Titel des Christus durch einen noch falscheren, weil nicht existierenden Titel ersetzt (König der Judäer, 15,2 u.ö.).


Da Mk gleich zu Beginn nicht die Hoheit eines Menschen, sondern die Selbst-Erniedrigung des Kyrios in den Blick nimmt, muss der erste Satz samt Anschluss sinngemäß lauten: Anfang der guten Botschaft von Jesus Chrestus, wie [sie] geschrieben ist im Jesaja, dem Propheten. Dieser nur angedeutete Bezug des Chrestus zum Gottesknecht des Jesaja rückt auch die grammatikalische Struktur der Satzkonstruktion in ein neues Licht.


Vielleicht war genau dieser Chrestus-Name zur Zeit des Mk bereits Teil einer römischen Tradition und insofern auch jener Chrestologie, gegen die Paulus in seinem Römerbrief ausdrücklich Stellung bezieht (Röm 16,18 ist evtl. Teil eines Nachtrags).

 
 
 

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