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martinzoebeley

Aus dem kleinen ABC zum Markus-Evangelium: A – Anfang

Aktualisiert: 22. Okt. 2023



Um eine so kunstvoll komponierte und zugleich rätselhafte Erzählung wie die des Mk interpretieren zu können, ist es von entscheidender Bedeutung, ihren ersten Satz richtig zu verstehen. Das wurde im Fall des Mk-Textes durch die – im Wortsinn – christliche Überlieferung erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht.


Hier soll die Aussage des ersten Satzes (1,1) in den Blick genommen werden, nicht die grammatikalische Struktur der Satzkonstruktion als Ganze. Die Frage, wie der folgende Satzanschluss zu verstehen ist, wurde und wird in der Wissenschaft ausführlich diskutiert. Davon hängt unter anderem die Entscheidung ab, ob der erste Satz eine Überschrift ist oder aber ein einführender Nominalsatz, gefolgt von einer Zitateinleitung und einer Kette von Jesaja zugeschriebenen Schriftzitaten. Diese Frage steht, wie gesagt, hier nicht im Fokus.


Sie ist dennoch bemerkenswert, weil schon der erste Satz auf die jüdischen Schriften rückbezogen ist und eben dieser Rückbezug einen Deutungsrahmen vorgibt, sowohl für den Initialsatz, als auch für den Text des Mk insgesamt. Für eine angemessene Deutung ist daher ein umfangreiches, an den jüdischen Schriften, vor allem an Jesaja geschultes Vorverständnis nötig.


Trotzdem ist dieser erste Satz in allen Editionen und Übersetzungen falsch wiedergegeben. Der Grund dafür liegt im Text selbst, in seiner ursprünglichen Aussageabsicht. Die richtet sich gegen den Christus-Titel des Petros, den Mk durch den im römischen Sklavenwesen verbreiteten Namen Chrēstos (tüchtig, gut) ersetzt .


Aus dem Christus der jüdischen Messias-Tradition wird bei ihm ein römischer Chrestus, aus dem Königs-Titel ein Sklaven-Name. Möglicherweise war im Römischen Reich ein Provinzkönig nicht vermittelbar, der im Jüdischen Krieg noch nicht einmal fähig gewesen war, sein eigenes Heiligtum vor der Zerstörung zu bewahren.


Jedenfalls beschreibt Mk mit seiner Jesus-Darstellung nicht die königliche Hoheit eines Menschen, sondern die radikale (Selbst)-Erniedrigung des einen jüdischen Gottes. Damit hängt auch seine Kritik an Petros zusammen, die er bewusst ins Zentrum seiner Erzählung rückt: Wenn Jesus im Nachgang der Christus-Behauptung ihm als dem Satan vorhält, nicht im Sinn zu haben, was Gottes, sondern was der Menschen ist (8,33), nimmt das den ersten Satz wieder auf, der ursprünglich eine Niedrigkeits-Aussage birgt anstelle der beiden christologischen Hoheits-Titel.


Die Niedrigkeits-Theologie hat ihren Ausgangspunkt in den jüdischen Schriften, konkret im vierten Lied des Jesaja über den sog. Gottesknecht, der für die Sünden seines Volkes dahingegeben, überliefert wird (Jes 53,12). Stellvertretend muss er, der Sklave Gottes, leiden und sterben. Auf diesen Ausgangspunkt ist der Anfang der guten Botschaft, ist die Grundlage des Evangeliums rückbezogen.


Schon das Wort selbst ist ein Rückgriff, sowohl auf Prophetenbücher, die ähnlich beginnen (z.B. Hosea, Hos 1,2 LXX), als auch auf den Anfang der Welt, wie er zu Beginn der Genesis besungen wird (Gen 1). Deshalb entspricht dem Anfang bei Mk zweimal die Bestätigung (Es wurde), die dem Es geschah im Schöpfungshymnus entspricht; erst leitet sie der Prophetie des Johannes ein, dann die Verkündigung Jesu.


Bestätigt wird der Neuanfang also dadurch, dass erst Johannes als vergeblicher Prophet und Eintauchender in der Wüste (1,4), dann Jesus (als Mensch) von Nazareth kommend gezeigt wird (1,9). Erst nach der Tauche und mit dem Aufstieg (zeichenhaft aus dem Tod) setzt das schöpferische Wirken des Geistes ein, der durch Jesus, dem Gottessohn, zum Neuanfang, gleichsam zur Neuschöpfung verhilft (1,10).


Das Gewicht des ersten Satzes und damit der Fokus des Erzählers lag ursprünglich auf dem ersten Wort Anfang (der guten Botschaft), nicht auf den heute dominanten Titeln des Protagonisten Jesus, die wie sein Name nur im Genetiv genannt werden. Im Verlauf der Text-Überlieferung wurde dem Initialwort die vermeintlich korrigierende, doch unschöne Kette von sechs statt der vier ursprünglichen Genetiv-Formen angehängt, die in deutscher Übersetzung sogar noch zu verlängern wäre: Anfang der Guten Botschaft Jesu Christi, des Sohnes eines Gottes. Das ist sprachlich für den Anfang unpassend, und es ist auch dogmatisch unsinnig. So widerspricht es der Intention des Verfassers.


Wie die ältesten Handschriften vermuten lassen, wurde die nachklappende Apposition (Sohn eines Gottes) erst später hinzugefügt – und zwar gegen den Sprachgebrauch des Mk ohne den bestimmten Artikel. Die Wendung Sohnes eines Gottes ist im ersten Satz mindestens so unsinnig wie der für Jesus unzutreffende Christus-Titel.


Sie kommt im Text des Mk ein einziges Mal vor (15,39), im sog. Bekenntnis des Hauptmanns am Kreuz Jesu, genauer: ihm gegenüber (!). Was dieser Zenturio als Zeuge des Todes Jesu angeblich wahrheitsgemäß sagt, ist kein Bekenntnis, sondern eine (falsche) Zeugenaussage.


Es entspricht dem Problem aller Akteure des Mk, die Jesus nicht angemessen erkennen. Das eigentlich Unmögliche kann er sehen, dass nämlich dem Tod das Zerreißen des Tempel-Vorhangs folgt (15,38, ein Rückbezug auf des Zerreißen des Himmels nach der Tauche, 1,10, vielleicht auch eine Anspielung auf die Tempelzerstörung durch die Römer).


Das entscheidende Paradox aber sieht er nicht: Dass nämlich Jesus durch seine größte Erniedrigung zu Gott erhöht wird, und eben nicht, wie er behauptet, ein Sohn irgendeiner Gottheit war. Mag für ihn als Römer der Titel Divi filius der Apotheose eines Kaisers angemessen sein, gegenüber Jesus und dessen paradox gegenläufiger Bewegung ist er es nicht.


Bemerkenswert ist die vor allem die Vergangenheitsform seiner Behauptung (Dieser Mensch war Sohn eines Gottes). Denn der aus Nazareth kommende Jesus war tatsächlich nach seinem zeichenhaften Aufsteigen aus der Tauche erst zu dem Sohn Gottes adoptiert worden (1,11), dessen Königtum mit der Erhöhung zur Rechten Gottes beginnt. Für ein Bekenntnis zu Jesus wäre eine Vergangenheits-Aussage unzureichend.


Sie weist noch einmal auf das Missverständnis zurück, das Mk immer wieder andeutet und ganz besonders mit der Erzählfigur des Petros verknüpft. Wer Jesus nur als machtvollen Menschen sieht, bringt ihn zum zweiten Mal ans Kreuz (15,25). Der Blick auf den offensichtlich Machtlosen verhilft nicht zur Erkenntnis Jesu als König der Welt.


Das, was Jesus selbst eingangs verkündet (1,14), bezieht sich auf das nahe Königtum, auf die Basileia Gottes, beschränkt sich aber nicht darauf. Mit diesem Begriff für das universale Königtum Gottes wird ein jüdisches Theologumenon der Psalmen (z.B. Ps 22,29) und vor allem des Jesaja (z.B. Jes 37,16) in Stellung gebracht gegen das Königtum Jesu, wie Petros es später behauptet (8,29).


Mit dem Begriff des Evangeliums (der Guten Botschaft) meint Mk, ohne das zu Beginn schon deutlich zu machen, die Nachricht des sieghaften Aufstehens von den Toten – und damit zunächst die Überbietung der Botschaft des Johannes. Der hatte 1,4 zufolge nur eine Tauche (in den Tod) verkündet; wörtlich eine Tauche des Umdenkens. Sein - meist als Bußtaufe bezeichneter - Akt scheint, was das angegebene Ziel, den Sündenerlass betrifft, vergeblich zu sein. Der ist jedenfalls nicht Teil ihrer Wirkung, sondern nur ihrer Ankündigung. Das unterscheidet seine Tauche (mit Wasser) von der des Stärkeren (Jesus, kraft des Heiligen Geistes, 1,8).


Die Ablösung des Johannes durch Jesus (1,14) lässt ahnen, warum schon das erste der Schriftzitate (1,2.3) fälschlich Jesaja zugeschrieben wird. Zunächst wird – mit einem Auftrag an Israel (Ex 23,20) – die Wegbereitung durch den Vorläufer verheißen, bevor – mit Jesaja (Jes 40,3) – sein konkreter, in der Wüste freilich sinnloser Auftrag ergeht, den Weg für das Kommen Gottes zu bereiten. Unausgesprochen bedeutet er, Steine aus dem Weg zu räumen (vgl. Jes 62,10), also auch Felsbrocken (Petros).


Wohlgemerkt: Textkritisch ist die gegen Petros gerichtete Nennung des Chrestus in 1,1 nicht zu belegen. Der Sklaven-Name findet sich in den Handschriften ebenso wenig ausgeschrieben wie der stattdessen gesetzte Christus-Titel. Da die sog. Nomina sacra in allen Handschriften abgekürzt sind, steht dort anstelle von Jesus Chrestus (bzw. Christus) jeweils nur ein nichtssagendes Kürzel (ΙΥΧΥ, vgl. Bild oben).


Auch wenn es nicht zweifelsfrei nachzuweisen ist: Den Sklaven-Namen Chrestus hat Mk keineswegs zufällig gewählt. Das Wort Chrēstos wurde nahezu identisch ausgesprochen wie Christos; schon deshalb war es in bewusster Opposition dazu gesetzt und als solche von vorne herein im Text erkennbar.


Darüber hinaus war es durch die jüdischen Schriften legitimiert. So heißt es im griechischen Wortlaut von Ps 34 sinngemäß: Schmeckt und seht, dass Chrestus der Herr ist (Ps 33,9 LXX). Jesus als Kyrios zu sehen, heißt, ihn (nur) im Schmecken des rettenden Brotes der Mahlfeier zu erkennen. Dazu sind nach Mk Juden, etwa die Schreiber, pikanterweise auch die Zwölf, so wenig in der Lage wie Nichtjuden, etwa der Zenturio oder gar Pilatus, der den ohnehin falschen Titel des Christus durch einen noch falscheren, weil nicht existierenden Titel ersetzt (König der Judäer, 15,2 u.ö.).


Da Mk gleich zu Beginn nicht die Hoheit eines Menschen, sondern die Selbst-Erniedrigung des Kyrios, des einen Gottes Israels, in den Blick nimmt, muss der erste Satz samt Anschluss sinngemäß lauten: Anfang der guten Botschaft von Jesus Chrestus, wie [er] geschrieben ist im Jesaja, dem Propheten. Dieser nur angedeutete Bezug des Chrestus zum Gottesknecht des Jesaja rückt auch die grammatikalische Struktur der Satzkonstruktion in ein neues Licht.


Vielleicht war genau dieser Chrestus-Name zur Zeit des Mk bereits Teil einer römischen Jesus-Überlieferung und insofern jener Chrestologie, gegen die im Römerbrief deutlich Stellung bezogen wurde (Röm 16,18).

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