Wer sind die Pharisäer bei Mk?
- martinzoebeley
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Aktualisiert: vor 1 Stunde

Eines vorab: Die Frage, wer die Pharisäer in der Geschichte Israels waren, ist hier kein Thema. Ihre historische Relevanz ist ebenso unklar wie die Deutung ihres Namens. Sind sie „Abgesonderte“, also Separatisten – oder sind sie die „genau Unterscheidenden“? Unklar ist auch, ob der Name eine Fremdbezeichnung war oder sie sich selbst so genannt haben.
Die historischen Verhältnisse werden ohnehin kaum mehr zu ermitteln sein, da aus ihrer Binnen-Perspektive keine Beschreibungen erhalten sind. Als die wichtigsten Quellen gelten neben Josephus, der sie den Römern tendenziös als Philosophenschule beschreibt, die Evangelien, denen umgekehrt ihr schlechtes Image anzulasten ist.
Besonders bei Matthäus sind sie die Heuchler, die über den Einlass zum Königtum Gottes entscheiden wollen, aber selbst nicht hineinkommen (Mt 23,13f). Sein Negativ-Bild musste im Lauf der Geschichte zur antisemitischen Projektionsfläche werden.
Dem stehen neuerdings Versuche gegenüber, die Pharisäer für innerjüdische Auslegungs-Diskurse in Anspruch zu nehmen. Fragwürdiger Höhepunkt solcher Bemühungen ist das Narrativ, Jesus sei in seinem Tora-Verständnis, wenn nicht selbst ein Pharisäer, so doch ihrer Auslegung verpflichtet gewesen. Das entspricht nicht dem Bild, das sie bei Mk abgeben.
Hier treten sie als geschlossene Gruppe nicht etwa gegen die Partei der Sadduzäer auf, sondern gegen Jesus und seine Schüler. Anders als in der harmonisierenden Darstellung des Lukas gibt es keinen einzelnen Pharisäer, bei dem Jesus zu Gast wäre (vgl. Lk 11,37). Außerdem werden sie bei Mk – anders als bei Matthäus und Lukas – nicht in der formelhaften Verbindung mit den Schreibern genannt („Schriftgelehrte und Pharisäer“).
Sie verfügen selbst über Schreiber (2,16) und treten zusammen mit einigen von ihnen in Erscheinung (7,1). Mk verknüpft sie aber mit der Gruppe der von ihm so genannten Herodianer. Solange nicht zu ermitteln ist, ob es die als eigenständige Partei überhaupt gegeben hat, liegt die Vermutung nahe, dass sie ein literarisches Konstrukt des Mk sein muss.
Zwölfmal werden die Pharisäer bei Mk genannt, was kein Zufall sein dürfte. Denn sie stehen von Beginn an in Spannung zu Jesus und seinen Schülern (2,16.18). Als Ausgangspunkt dienen Alltags-Situationen des Essens bzw. Fastens, die von ihnen beobachtet und unaufgefordert kommentiert werden.
Wesentlich für die Pharisäer ist dabei die Frage, was erlaubt ist und was nicht (2,24; 10,2). Die beantworten sie selbst nach einer Fangfrage Jesu nicht (3,4), treffen aber daraufhin mit den Herodianern den Beschluss, ihn zu vernichten (3,6), was als Amtsanmaßung und Verstoß gegen die Tora sicher nicht erlaubt ist.
Der Witz der Pharisäer-Darstellung ist typisch für Mk; prägend ist er auch für das Bild, das er von ihnen zeichnet. Wenn Jesus mit Grenzern und Sündern sowie mit vielen Schülern zu Tisch liegt (2,15), ignorieren sie, dass es die vielen Schüler und Nachfolger sind, die mit den kultisch unreinen Personen das Mahl feiern.
Sie sehen nur, dass Jesus mit Sündern und Grenzern isst – um daraufhin den Schülern gegenüber festzustellen, dass er mit Grenzern und Sündern isst (2,16). Das heißt: Die Pharisäer sehen das Verhalten der Schüler nicht und beschreiben die Verhältnisse unzureichend.
Das zeigt auch ihr nächster Kommentar, wenn die Schüler im Unterschied zu Jesus Ähren abrupfen (2,24). Da stellen sie einen Sabbat-Bruch der Schüler fest, nicht aber, dass die sich selbst einen Weg bahnen, anstatt Jesus nachzufolgen. Und, noch gravierender, dass sie nicht das Brot im Blick haben, auf das es eigentlich ankommt (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-e-essen).
So zeigt Mk die Pharisäer von Beginn an im Kontext des Essens. Das wiederum erklärt, warum sie nicht als eigenständige Gruppe dargestellt werden, sondern nur in Entsprechung zu den (judäochristlichen) Schülern, die Jesus nicht als den im Brot verborgenen Kyrios erkennen können.
Dass die beiden Gruppen dazu nicht in der Lage sind, zeigen sie selbst unmittelbar nach der zweiten Sättigungsgeschichte (8,1ff). Erst fordern die Pharisäer ein Zeichen vom Himmel (8,11), obwohl das doch gerade erst zu sehen war, und dann meinen die Schüler, kein Brot dabei zu haben (8,14), obwohl Jesus doch an Bord ist.
Dieses Missverständnis wird durch ein anderes ausgelöst. Die Schüler verstehen seinen Befehl falsch, sich vor dem (unrein aufgeblähten) Sauerteig der Pharisäer und dem der Herodianer zu hüten (8,15).
Tatsächlich treten die Pharisäer bei Mk als aufgeblähte Bewahrer der Tradition auf (vgl. 7,3.5), nicht aber als Hüter der Tora. Das zeigt sich etwa in der für sie wesentlichen Frage, ob etwas erlaubt ist oder nicht; im Rahmen der Tora wird die Frage nicht ein einziges Mal thematisiert.
Das wiederum entspricht dem Befund, dass Mk seine Akteure zwar auf die Tora bezieht, den Begriff dafür aber konsequent vermeidet (nomos). Die Pharisäer des Mk vertreten überhaupt nur die Tradition der Ältesten, und sie tun das überaus wortreich. So ist die aufwendige Rede-Einleitung (7,1ff) eine Parodie auf umständlich verklausulierte Rechts-Texte der Schreiber.
Hinter der schwer zu deutenden Formulierung, dass die Pharisäer und alle Judäer nicht essen würden, wenn sie nicht mit der Faust die Hände gewaschen haben (sic! 7,3), steckt eine doppelt ironische Pointe: Eine Faust kann die (andere) Hand nicht waschen, und sie kann auch nichts festhalten – als nur die Tradition.
Ihren Versuch, Jesus mit dem Sozial-Problem der Ehescheidung auf die Probe zu stellen (10,2), beantwortet er den Schülern gegenüber abweichend von Tora und Tradition (10,11). Gegenüber den Pharisäern bezieht er sich zuvor zwar auf die Tora, weist dabei aber auf ein ganz anderes Scheidungsverbot hin (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-wird-der-mann-seiner-frau-anhaften-mk-10-7).
Mit wortreichen, aber zweifelhaften Komplimenten versuchen sie, Jesus im Wort zu fangen (12,13), und locken ihn zusammen mit den Herodianern in eine Falle. Wie auch immer seine Antwort in der sog. Zinsgroschenfrage ausfällt, für eine der beiden Parteien wird sie die falsche sein, wenn die Pharisäer eben jene Steuer ablehnen, die die Herodianer einfordern. Dabei besitzen sie die Münze, mit der sie selbst das Bilderverbot der Tora brechen (12,16).
Bei diesem letzten Auftritt sind die beiden Gruppen nicht eigenständig unterwegs. Ihre Auftraggeber bleiben im Hintergrund, sind aber hinter den Vernichtungs-Versuchen der Oberpriester und Schreiber zu vermuten (11,18).
Ihren eigenen, schon früh gefassten Vernichtungs-Beschluss hatten die Pharisäer nicht in die Tat umgesetzt (vgl. 3,6). Mit anderen Worten: Sie reden viel – und tun nichts. Wie die Oberpriester, Schreiber und Ältesten sind sie erklärte Gegner Jesu, werden ihm aber nicht gefährlich. Im Kontext des Passionsgeschehens ist daher von ihnen keine Rede mehr.
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