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martinzoebeley

Was zeichnet die Griechin aus Syrophönizien aus? (Mk 7,24-30)

Nimmt man die Erzählung des Mk ernst, was angesichts der witzigen Erzählweise nicht selbstverständlich ist, so können manche exegetischen Deutungs-Traditionen fraglich oder gar unhaltbar werden. Unzureichend sind denn auch viele der kirchlichen Auslegungen, denen die Geschichte in der Fassung des Matthäus zugrunde liegt (Mt 15,21-28).


Schon ihre Form wirft Fragen auf. Ist sie ein Streitgespräch, das Jesus zu verlieren scheint, ein Lehrgespräch oder qua Fernheilung eine Wundergeschichte? Die Antwort wird davon abhängen, welcher Akteur im Fokus der Erzählung gesehen wird: die Bittstellerin, die zu den Füßen Jesu hinfallend Hilfe heischt, oder deren besessene, aber abwesende Tochter.


Oder leistet sie eine dogmatische Beispielgeschichte, eine Darstellung des aus der Erzählerperspektive starken Glaubens? Bei Matthäus steht das außer Frage, da sein Jesus der Frau genau den bestätigt und ihr die maximale Ehrerbietung zuteilwerden lässt, die finale Zusage nämlich, dass ihr Wille geschehe (Mt 15,28). Bei Mk steht davon nichts.


Weiter gefragt: Bietet die Geschichte also die Möglichkeit der Identifikation mit der Frau? Wieder zeigt sich, dass sie das nur in der Fassung des Matthäus leisten kann. Die Frau entspricht hier mit ihrer an Jesus als den Kyrios gerichteten Bitte paradigmatisch der hilfsbedürftigen Gemeinde und deren inständiger Fürbitte. Bei Mk aber bleibt das Verhalten der Frau zumindest zwiespältig.


Das trifft auch für das Ergebnis zu. Was bei Matthäus eindeutig als Heilungsgeschichte erzählt wird (ihre Tochter war kuriert, Mt 15,28), erscheint bei Mk bestenfalls ambivalent. Der Dämon mag das Kind am Ende zweifellos verlassen haben (7,29f), doch das Ausgangs-Problem, der vom Erzähler zuvor genannte Unreine Geist (7,25), ist ihm geblieben.


Eines ist die Fassung des Matthäus daher nicht: Eine Parallel-Überlieferung zum Text des Mk. Die beiden Versionen sind so divergent, der Aussagewert ihrer Gemeinsamkeiten ist so begrenzt, dass von einer äquivalenten Parallele nicht gesprochen werden kann. Bei Lukas wie auch bei Johannes gibt es zu ihr kein Pendant.


Insofern könnte die Neutestamentliche Forschung umdenken, auch dann, wenn sie noch immer und willkürlich in 7,24ff den Jesus des Mk als einen Lernenden behauptet. Oder wenn sie das weit verbreitete Narrativ wiederholt, dass er durch die starke, selbstbewusste Frau zum Umdenken gebracht werde. Davon kann bei Mk keine Rede sein.


Wie so oft dürften die meisten Fehldeutungen an der Fassung des Matthäus liegen, die freilich nicht den Bedürfnissen heutiger Leser:innen nachkommt, sondern seinem Bemühen, die Konflikte des Mk umzudeuten und dessen Darstellung möglichst außer Kraft zu setzen. Gründlicher könnten die Konturen, auf die es Mk ankommt, kaum verwischt werden.


Schon die Exposition zeigt unterschiedliche Zielsetzungen. Bei Mk wendet sich Jesus deutlich von den Zwölf bzw. von den zuvor aufgezählten zwölf Verfehlungen ab, gegen die er ausdrücklich aufsteht (Vgl. die Konjunktion aber (!) in 7,24 gegenüber und in Mt 15,21).


Das eigentliche Thema des Mk, dass nämlich Jesus [sc. im Brot] verborgen bleiben will (7,24), lässt Matthäus komplett außer Acht, ebenso das Haus, das bei Mk mehr ist als eine unbestimmte Ortsangabe, zumal es am Anfang der Geschichte und an deren Ende in je unterschiedlicher Form genannt wird (οἰκία / οἶκος, vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markusevangelium-h-haus).


Die letztere Form greift Matthäus in dem von ihm eingefügten zentralen Spitzensatz auf, demzufolge Jesus nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt sei (Mt 15,24; vgl. Mt 10,6). Mit diesem für ihn typischen Jesuswort fokussiert Matthäus die Geschichte auf die Frage, ob Jesus über die Juden hinaus auch Nichtjuden heilen könne, was er endlich doch und in Form einer Fernheilung tut, wodurch er mit der Tochter nicht in Kontakt kommt.


Bei Mk geht es vielmehr darum, dass auch Völkerchristen das Brot [sc. Jesu] essen – und ihn darin erkennen können, im Unterschied zu jenen hier nicht eigens genannten Judäochristen, die es zwar mit ungewaschenen Händen essen (vgl. 7,2), dies aber wegen ihrer scheinheiligen Reinheits-Ansprüche nicht zusammen mit den Völkerchristen tun.


Die Frage der Reinheit stellt sich sowohl durch den Anschluss, als auch mit der Ortsangabe Tyrus zu Beginn der Geschichte. Ohne einen Generalverdacht auszusprechen, liegt es nahe, der Frau und ihrer Tochter mit Jesaja ein ortstypisches Verhalten zu unterstellen, nämlich das der hurenden Stadt (vgl. Jes 23,15ff).


Der nur angedeutete Verdacht von Unreinheit kommt im Ausgangs-Problem des Unreinen Geistes offen zur Sprache. Matthäus lässt diese scheinbar nebensächliche Angabe weg, er übernimmt von Mk lediglich das Problem des einen Dämons, den die Frau von Jesus ausgeworfen haben will, ohne ihm das explizit zu sagen (Mt 15,22.25; vgl. 7,26).


Doch bleibt bei Mk das Ausgangs-Problem am Ende bestehen. Die Tochter wird ihren Unreinen Geist nicht los, zumal er für die nichtjüdische Mutter kein Thema ist. Die Frage im Hintergrund: Sollen kultisch unreine Nichtjuden wie die unreinen Hunde nur unter dem Tisch das Mahl feiern dürfen, wenn andere längst zu Tisch liegen?


Das prägt die Schluss-Pointe des Mk. Die Tochter liegt am Ende nicht einfach auf einer Ess-Liege, sie ist dorthin geworfen. Schön ist das nicht, angesichts ihres Unreinen Geistes, wie es auch nicht schön ist, den Hündchen das Brot hinzuwerfen (7,27).


Das auffällige Wortspiel der beiden korrelierten Infinitive (λαβεῖν / βαλεῖν; 7,27) zeigt: Nicht das Wegnehmen des Brotes ist das Problem, sondern das Hinwerfen. Den Nichtjuden soll das Brot bei der Mahlfeier gegeben werden, damit sie eben nicht wie die Hündchen essen, die unter dem Tisch nur die Brösel abbekommen.


Wenn Matthäus die Schluss-Pointe weglässt und die Geschichte von einer komplexen Mahl- zu einer Heilungs-Erzählung umdeutet, wird das von ihm nahezu unverändert übernommene Wortspiel witzlos (vgl. Mt 15,26).


Ebenso ignoriert Matthäus die Peripetie des Mk. Sie kommt zunächst mit der Akklamation Kyrie zum Ausdruck, die Mk eingangs weggelassen hatte. Bei der Begegnung mit Jesus bleibt die Anrede der Frau grußlos auf die indirekt erzählte Bitte beschränkt, den besagten Dämon auszuwerfen.


Wenn sie Jesus endlich als Kyrie anspricht (7,28), ist das von der Erzähllogik her zu spät. Und diese respektvolle, nur für sie als Nichtjüdin mögliche Anrede passt auch nicht zu ihrem gewitzten Einwand, mit dem sie Jesus zu widersprechen scheint. Offensichtlich hat auch sie einen Unreinen Geist.


Die abschließende, scheinbar wohlwollende Reaktion Jesu, die nichts anderes ist als eine bestätigende Zusage, hängt jedoch nicht am Wort Kyrie, noch an ihrem Einwand. Sie folgt dem Wort paidion (Kindchen, 7,28), mit dem sie die Mahlfeier der Völkerchristen bestätigt.


Das ist der entscheidende Unterschied: Jesus hatte mit den Kindern die Judäochristen angesprochen (tekna, 7,27), die Frau aber spricht von den Völkerchristen. (Vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-k-kinder). Wegen dieses einen Wortes schickt Jesus sie weg mit der Zusage, dass der Dämon herausgegangen sei aus ihrer Tochter (7,29).


Mit dieser Ferndiagnose ist das von ihr genannte Problem wie von selbst gelöst; der Anlass ihrer heftigen Intervention ist aus der Welt, nicht aber der Unreine Geist des judäochristlichen Mädchens. Der wird auf ihrer Ess-Liege weiterhin und unbemerkt sich allen judäochristlichen Reinheits-Ansprüchen widersetzen können.


Die häufige Kyrie-Akklamation bei Matthäus verwischt die Pointe. Umgekehrt vermeidet er den entscheidenden Begriff des paidion, des völkerchristlichen Kindes, den er abschließend durch die neutrale Bezeichnung Tochter ersetzt (Mt 15,28). Die Brösel fallen bei ihm stattdessen vom Tisch ihrer Herren (Mt 15,27).


War dem Jesus des Mk die Unreinheit des Kindes im Heidengebiet offensichtlich gleichgültig, so weicht Matthäus dem Kern des Problems bewusst aus. Deswegen lässt er seine Geschichte mit dem Erzählerfazit schließen, dass die Tochter kuriert gewesen sei von jener Stunde an (15,28). Bei ihm hat die Frau erreicht, was sie wollte.


Bei Mk aber ist der Dämon weg; dafür braucht es keinen lernenden, geschweige denn einen umdenkenden Jesus. Zumal die Frau zwar schlagfertig auftritt, aber nichts weiß von dem am Ende ungelösten und in Tyrus auch unlösbaren Ausgangs-Problem, von der Unreinheit ihrer Tochter.


Diese Geschichte wäre bei Mk die erste, in der Jesus im Heidengebiet einen Unreinen Geist auswirft. Es ist bezeichnend, dass er das nicht tut; dass er dem Kind (d.h., den Völkerchristen) den Unreinen Geist lässt. Ob er selbst für das Herauskommen des Dämons gesorgt hat, bleibt offen; angesichts der Ferndiagnose liegt es nahe.


Einen Unreinen Geist hatte er bereits bei einem seiner ersten Auftritte ausgeworfen. Dieses Auswerfen, dem Mk hier das (Hin-)Werfen gegenüber stellt, war im jüdischen Kontext angesiedelt – und auch dort nur mit Einschränkungen gelungen (1,23ff).


Einen weiteren Unreinen Geist lässt er in extrem unreinem Gebiet herauskommen (5.8), muss aber danach feststellen, dass dem Besessenen noch Massen von Unreinen Geistern geblieben sind (legio, 5,9), die von sich aus den Wirkungs-Ort wechseln wollen – und sich dadurch in ihr Verderben stürzen.


Fazit: Wer von judäochristlicher Seite fordert, dass eine Mahlfeier nur unter den Gegebenheiten kultischer Reinheit möglich sei, weiß nichts von der unvermeidbaren Unreinheit in nichtjüdischen Gebieten sowie von den dort faktisch praktizierten Mahlfeiern.


Und er weiß auch nichts vom Jesus des Mk, – oder aber versucht, das Problem zu ignorieren, wie Matthäus es in seiner Umarbeitung getan hat - mit dem ihm eigenen nachhaltigen Erfolg.

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