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Ceterum Censeo: Wo hat Jesus gewirkt? (3/7)

martinzoebeley

Aktualisiert: 2. Aug. 2024


Aus Gründen, die noch zu benennen sein werden, halte ich es für falsch, wenn in der akademischen Theologie…


…die von Mk genannten Orte des Auftretens Jesu unkritisch mit historischen Wirkungsstätten gleichgesetzt werden.


Eine weit verbreitete Theorie besagt, dass Mk über die Topographie Palästinas nicht gut informiert gewesen sei. Zur Begründung werden scheinbar unsinnige Ortsangaben und Wegverläufe genannt (z.B. 5,1; 7,31). Dabei lassen manche Ortsangaben bei näherer Betrachtung sich mühelos als Text-Signale verstehen, als Interpretationshilfen oder Deutungsschlüssel. Sie sind nicht auf der Landkarte finden, sondern im Lexikon.


Bei der Benennung der meisten Orte geht Mk von der realen Topographie aus. Da ist er so wenig frei wie bei den Namen jener Akteure, die historisch belegt sind (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/ceterum-censeo-jesus-biographien-und-die-heilige-familie-7-2). Reale Ortsnamen gehen oft, fiktiv eingeführte immer über die topographische Aussage hinaus.


Am häufigsten wird die Stadt Jerusalem genannt. Mk bezeichnet sie mit einer Nebenform, mit dem schon bei Paulus genannten Namen Hierosolyma (vgl. Gal 1,17 u.ö.), der die Stadt als Ort des Heiligen markiert. Untrennbar mit Jerusalem verknüpft sind Verben der Fortbewegung, zunächst für den Ausgangspunkt (von Jerusalem; 3,8; 3,22; 7,1), in der zweiten Buchhälfte dann umgekehrt für den Zielpunkt (nach Jerusalem, 10,32f; 11,1.11.15; 15,27). In diesem Sinn könnte die Nebenform bei jüdischen Fest-Pilgern in Gebrauch gewesen sein.


Caesarea Philippi, evtl. ein Symbolname für Rom, wird als kaiserliche Stadt nur genannt, von Jesus und seinen Schülern aber nicht erreicht, weil er nach der Christus-Behauptung des Petros eine Kehrtwende macht und den Weg ans Kreuz einschlägt. Deshalb kommt der Jesus des Mk nur in die Dörfer von Caesarea, dem des Philippos (8,27).


Der See Genezareth wird ausschließlich in der ersten Buchhälfte mit jeweils wechselnden Konnotationen als Meer bezeichnet, zweimal auch als Meer [von] Galiläa (1,16; 7,31). Der Begriff (thalassa) kann topologische wie mythologische Funktionen übernehmen. So kann er etwa die Chaoswasser bezeichnen, die das Diesseits vom Jenseits trennen (4,35 ff). Ähnlich bedeutungstragend ist die häufige Wendung auf der Erde (doppelt in 4,31).


Am Meer und in den entsprechenden Ortschaften sind das erste Auftreten Jesu und wichtige Lehren angesiedelt sowie der Ruf von Schülern in die Nachfolge (1,16ff). Zu den Ortschaften zählen vor allem Kapharnaum und Bethsaida. Dieser Ort (wörtlich: Haus des Fangs) wird so bezeichnet, obwohl er seinerzeit bereits in Julias umbenannt war.


Aus den jüdischen Schriften stammt das Motiv des Weges, eine multiple Metapher etwa für das Befolgen der Tora (vgl. Ps 119) und damit für die von Mk bezweifelte Bundestreue des (judäochristlichen) Gottesvolks. Er stellt es prominent an den Anfang durch die Aufforderung zur Wegbereitung, die mit Jesaja bedeutet, Felssteine (wie Petros) aus dem Weg zu räumen (vgl. Jes 62,10). Weil das nicht erfolgt, führt der Weg Jesu ans Kreuz.


Weitere Anspielungen auf die Schriften gibt es zuhauf, neben dem Hindurchgehen auf dem Land (sic! 6,53, vgl. Jes 23,2) sind das etwa die verrufene Hafenstadt Tyros (7,24.31; vgl. Jes 23,15) sowie der Fluss Jordan, der wie das Meer eine Grenze markiert (3,8; 10,1; vgl. Jos 4,1ff). Das en passant, aber doppelt genannte Jericho ist als der Ort größter Niedrigkeit der Ausgangspunkt für den Weg der Erhöhung Jesu am Kreuz (10,46).


Das Zehnstädtegebiet der Dekapolis steht für jene nichtjüdische Region, in der unbefugt Taten Jesu verkündigt werden (5,20). Zu weiteren unerlaubten Verkündigungen führt die Geschichte eines Gehörlosen, der Unsinn redet, deshalb zu Jesus gebracht und von ihm besonders behandelt wird (7,31ff).


Der umständliche Anschluss mit der scheinbar unsinnigen Reiseroute (zum Meer von Galiläa, vgl. 1,16) ist ein erstes Indiz dafür, dass Petros hinter dem besonderen Patienten erkennbar ist. Was sich ihm öffnet, ist nicht etwa der Himmel, sondern nur sein Gehör (7,35); der Verweis auf den Heilerfolg, auf sein richtiges Reden, lässt einen Teilerfolg vermuten: dass es mit dem Gehorsam weiterhin nicht richtig funktioniert.


Das Gebiet der Gerasener verlegt Markus an das Meer (5,1), obwohl es drei Tagesreisen vom See Genezareth entfernt liegt. Es ist das unreine Wirkungsgebiet eines Alten (Apostels; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-des-sog-besessenen-von-gerasa-mk-5), der seinerseits ein Verkündigungsverbot ignoriert (5,19f).


Bei einigen unbekannten Orten ist offen, warum Mk sie überhaupt namentlich angibt. Das gilt insbesondere für Nazareth (1,9), dann auch für die Teile von Dalmanuthá (8,10), das Gebiet von Gethsemani (14,32) oder den Ort Golgotha (15,22), für Ortsnamen also, die anderweitig nicht nachweisbar, aber für den je unterschiedlichen Deutungsrahmen wichtig sind.


Auf die Frage, wo Jesus geboren wurde, gibt Mk keine Antwort. Demonstrativ vermeidet er den Ortsnamen Bethlehem, den Matthäus und Lukas später als Geburtsort Jesu angeben, um seine Abstammung von David und damit seine messianische Bedeutung zu belegen.


Es ist bemerkenswert, wie systematisch Mk den Ortsnamen Bethlehem verschweigt. Auf dem Weg nach Jerusalem werden nach dem Ziel Bethphage und Bethanien genannt (11,1), bevor ein Lasttier zur (ausbleibenden, vgl. 11,11) Königsinthronisation aus dem Dorf geholt werden soll, das ihnen gegenüber liegt (11,2). Dieser Jesus kommt definitiv nicht aus Bethlehem.


Anstatt ihn eingangs aus Bethlehem in Judäa kommen zu lassen, setzt Mk den fiktiven Herkunftsort Nazareth in Galiläa dagegen (1,9) und erzählt in unmittelbarem Anschluss daran die Adoption zum Sohn Gottes. Die Aussage dahinter: Nicht ein in Bethlehem geborener Königssohn, sondern dieser Jesus, der von Nazareth kommt, wird als Gottessohn anerkannt und geliebt (1,11). Das ist die erste der vielen Spitzen gegen einen Christustitel, wie er von Petros behauptet wird (8,29).


Nazareth wird von Mk nur dieses eine Mal genannt (sic!). Weder ist die sog. Vaterstadt (6,1) ein Hinweis auf Nazareth, noch kann die an den fiktiven Ortsnamen Nazareth anknüpfende Bezeichnung Jesu als Nazarener (1,24; 10,47; 14,67, 16,6) als Hinweis darauf gelten, dass er tatsächlich in Nazareth geboren sei.


Mit dem Herkunftsort Nazareth (von hebr. nāzîr, Geweihter bzw. nēer Spross) thematisiert Mk die menschliche Abstammung Jesu – und zwar als Grund-Problem seiner öffentlichen Wahrnehmung. Dementsprechend wird der daraus abgeleitete Begriff Nazarener nur in Redebeiträgen zweifelhafter Akteure verwendet.


Das sind erstmals die Unreinen Geister, die eben daran als unrein zu erkennen sind, dass sie den Nazarener noch vor dem Heiligen Gottes nennen (1,24). Sie sprechen Jesus als Menschen an, behaupten aber, seine Göttlichkeit zu kennen. Wer Jesus als gesalbten Menschen sieht, wie Petros es tut (vgl. 8,33), wird blind und taub sein für den Gottessohn. Was Mk als Problem formuliert, wird später zur dogmatischen Selbstverständlichkeit.


Auf einen rätselhaften Wirkungsort, den Ort der Abstammung angeblicher Brüder Jesu, verweist die nicht namentlich genannte Vaterstadt (6,1). Dort wird von Hörern in der Synagoge erzählt, bei denen seine Lehre Rückfragen nach seinen menschlichen Eigenschaften auslöst. So stolpern sie über ihn, nicht über die vier genannten Brüder (6,3; mehr dazu in einem separaten Blogbeitrag).


Dalmanouthá ist ein Ortsname, den einzig Mk nennt, als Ziel einer Bootsfahrt nach der zweiten Sättigungs-Erzählung (8,10). Seine sprachlich uneindeutige Grundlage könnte das hebräische Wort für Ruhe (מנוחה) sein, in Entsprechung zum Anapausis-Gedanken vor der ersten Sättigungs-Erzählung (6,31). Dal menuchah weist demzufolge auf die wenige Ruhe hin, die Jesus dort zuteil wird.


Symbolische Bedeutung haben neben Nazareth oder Dalmanouthá besonders jene Ortsnamen, die auf Petros anspielen, darunter Kapharnaum (vgl. aram. Kefa, für gr. Petros), Bethsaida (Haus des Fangs, der Jagd) oder auch Golgotha (Hauptort, vgl. Capitolium). Mit Petros indirekt verbunden sind außerdem das Meer als Ziel einer allgemein angedrohten Todesstrafe (9,42) oder die Geenna, ein Leichenfeld bei Jerusalem (Gehinnom, 9,43).


Vorschau auf Ceterum Censeo 4/7:

Aus Gründen, die noch zu benennen sein werden, halte ich es für falsch, wenn in der akademischen Theologie…


…die Theorie des sog. Messias-Geheimnisses immer noch vertreten und als theologisches Programm des Mk gelehrt wird.

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