Die Geschichte der sog. Verklärung (Mk 9,2-8)
Aktualisiert: 19. Okt.

Auf diesem Bildausschnitt ist der verklärte, wörtlich: der umgestaltete Jesus zu sehen, wie Raffael ihn auf einem seiner letzten Gemälde gemalt hat. Mit dem Sehen Jesu sind die drei Jünger am Boden anscheinend überfordert, im Unterschied zu den nur wenig untergeordneten Gesprächspartnern zu beiden Seiten.
Auf dem Gemälde sind noch weitere Personen dargestellt, besonders in der unteren Bildhälfte, die eine biblische Fortsetzung der Verklärungsgeschichte wiedergibt (hier nicht im Bild, vgl. Mt 17,14ff). Was Raffael vor seinem Tod genau gesehen und gemalt hat, bleibt trotz vieler Auslegungsbemühungen wohl sein Geheimnis.
Als Glaubensgeheimnis gilt die Geschichte mit dem unzureichenden Namen Verklärung (9,2ff). Sie könnte eine allseits erhellende Wirkung haben, mündet bei Mk aber – der unteren Bildhälfte Raffaels vergleichbar – in paradoxe Spannungen, in Ermittlungen über die Auferstehung und schließlich in die Auswüchse einer krass überzeichneten Krankheit (vgl. 9,14ff). Sie zeigt, welche krankhaft-paradoxen Folgen das Unverständnis der Akteure angesichts der Auferstehung Jesu haben kann.
Unzureichend ist der Name deshalb, weil sie nur das erste von zwei wichtigen, aufeinander bezogenen Ereignissen benennt. Dem Sehen des österlich Erhöhten folgt das Hören der Stimme aus der Wolke (9,7), der Vision Jesu folgt die Audition Gottes. Ikonographisch ist letztere freilich weniger ergiebig.
Die Epiphanie-Geschichte hat insofern einen äußeren, textexternen Anlass, als schon lange vor Mk von Erscheinungen des Auferstandenen berichtet wurde. Den Angaben des Paulus zufolge war Petros der Erste, der den Auferstandenen gesehen habe, nach ihm die Zwölf, danach mehr als 500 Brüder (1 Kor 15,5). Paulus selbst leitet aus seiner eigenen Vision seine Legitimation als Apostel ab (1 Kor 15,7; vgl. 5,6). Solche auf Visionen des Auferstandenen gründende Berufungen stellt diese Geschichte hier in Frage. Sie kann geradezu als eine weitere Anti-Berufungs-Geschichte des Petros gelten (vgl. 1,38).
Geprägt ist sie durch das Begriffspaar von Sehen und Hören, das die Berufung des Jesaja – in umgekehrter Reihenfolge – aufgreift (Jes 6,9) und den beiden großen Reden Jesu zugrunde liegt (Hört: 4,3ff; Seht: 13,5ff). In der ersten (Rätsel)-Rede sind die Zwölf in denjenigen erkennbar, die draußen sind (vgl. 11,4; 14,68), die zwar sehen, aber nicht erkennen, und hören, aber nicht verstehen (4,12). In dieser Reihenfolge entspricht das Begriffspaar auch der Geschichte von Vision und Audition.
Sie nimmt die Protovision des Petros aufs Korn (vgl. 1,16), bringt seine Legitimation in Misskredit und stellt sogar eine Grundüberzeugung der christlichen Tradition in Frage: Ob der Auferstandene jemals zu sehen ist? Ob ein zu Gott erhöhter Jesus auch zu hören ist? Und selbst wenn: Ob dieser Jesus apostolische Aufträge erteilt und jemals Menschen wie Petros beruft?
Die Geschichte folgt auf dessen Christus-Behauptung (8,29), die Jesus mit der Lehre seines Leidensweges beantwortet. Weil Petros den ablehnt, spricht Jesus ihn als Satan an (8,33). Dieser im doppelten Sinn zentralen Umbenennung wird in kirchlichen wie akademischen Kreisen relativ wenig Aufmerksamkeit gewidmet.
Die Auferstehung steht gleichwohl als solche nicht in Frage. Schon in der ersten der drei prophetischen Lehren Jesu ist sie das erklärte Ziel seines Leidensweges (8,31; 9,31; 10,33f). Das Thema ist überdies vorbereitet durch eine Aufweckungs-Geschichte (der Tochter des Jairos, 5,22ff), bei der Petros, Jakobos und Johannes bereits zum Kreis der Zuschauer zählen.
Diese Drei nimmt Jesus exklusiv dreimal mit, hier also auf einen hohen Berg zum Sehen des österlich Erhöhten, und schließlich in seiner letzten Nacht zum Sehen des zutiefst Erniedrigten, ins Gebiet von Gethsemani. Dort wird erst ihr (Sünden-)Schlaf hintersinnig erklärt: Denn ihre Augen waren belastet; 14,40. Danach wissen sie nicht, was sie antworten sollen. Wer Jesus mit belasteten Augen sieht, kann kein Zeuge, wer auf die äußerste Niedrigkeit Jesu nicht zu antworten weiß, kein Apostel sein.
Der erste Teil der Geschichte, die Vision, wird mit wenigen Worten erzählt. Auf dem Berg, einem für Gesetz und Offenbarung bedeutsamen Symbol-Ort, wird Jesus vor ihnen Augen umgestaltet. Dabei werden seine Umhänge (Mäntel) strahlend weiß, weißer noch, als Menschen (Walker) sie je bleichen könnten (9,3, vgl. Ps 104). Um das Weiß als liturgische Farbe der Auferstehung geht es freilich nicht. Die lichtvoll-hellen Umhänge sind ein wichtiges Textsignal, die ein Attribut der Vollmacht Jesu ansprechen; dazu bald mehr in einem eigenen Blog-Beitrag.
Der Vergleich mit dem Walker bezieht sich hingegen auf das für Petros typische begrenzte Sehvermögen (vgl. 8,25; 8,33) – sowie auf den einen Mantel, dessen Riss (Schisma) durch das Anbringen eines ungewalkten Lappens (wörtlich: Aufsatzes) nur noch größer wird (2,21).
Mit dem in den göttlichen Lichtglanz erhobenen Jesus diskutieren nun zwei Auferstandene, Elias mit Moyses (9,4). Die beiden Gesprächspartner, zwei repräsentative Vertreter der jüdischen Schriften (Gesetz und Propheten, in umgekehrter Reihenfolge) bilden mit ihm eine Dreiergruppe, die sich nur miteinander unterhält, nicht aber mit der Dreiergruppe der Schüler. Was könnten die also vom Auferstandenen lernen, den sie doch immerhin sehen? Wie könnte Petros darauf antworten, der an ihrem Gespräch nicht beteiligt ist?
Petrus weiß nicht, was er antworten soll, obwohl er doch schon geantwortet hat (9,5), nämlich mit einem lächerlich banalen, das Geschehen ignorierenden Kommentar (Schön, dass wir hier sind, 9,5). Seine Anrede an den Lehrer (Rabbi) ist ebenfalls ein Situations-Witz, da der Erhöhte ihm weder zuhört, noch lehrt, geschweige denn mit jüdischen Lehrern vergleichbar ist.
Sein Vorschlag, drei Hütten zu bauen (9,6), mag auf die Festtradition der Laubhütten oder auf Petros selbst als selbsternannten Baumeister verweisen (vgl. 6,3). Das Wesentliche aber ist unsichtbar: Gott wohnt seit der Tauche Jesu nicht in irgendwelchen Zelten, sondern in einem neuen Tempel, nämlich in Jesus, durch seinen Geist (vgl. 1,10).
Der zweite Höhepunkt der Geschichte ist in seiner prägnanten Kürze eine Bestätigung der ersten. Der in die Wolke verhüllte Gott (vgl. Ps 104,3) bestätigt die Divinität Jesu, indem er den Erhöhten zu sich in die Wolke aufnimmt und ihn dann – wie nach der Tauche, wiederum nach einem Aufstieg – als seinen geliebten Sohn proklamiert (9,7; vgl. 1,11). Dazu erteilt er den drei Schülern einen Auftrag (Ihn hört! 9,7) und stellt das Wort Jesu somit über das des Moyses (das Wort des Gesetzes; vgl. Ex 24,16) und das des Elias (das Wort der Propheten).
Was sie gehört haben, könnten die drei Schüler lernen, als Gebot Gottes befolgen und ihrer judäochristlichen Welt verkündigen. Daher ist es ein Witz, wenn Jesus ihnen danach in indirekter Rede gebietet, nicht zu erzählen (sic!), was sie gesehen hätten (9,9). Wozu auch?
Entscheidend ist allein das neue Gebot, das sie jedoch missachten. Denn als Sohn Gottes spricht Jesus vergeblich mit ihnen, und als der zu Gott Erhöhte wird er nicht verstanden. Missverstanden wird auch der besagte Witz Jesu, der noch fortgesetzt wird: Sie sollen niemandem erzählen, was sie gesehen hätten, außer, wenn der Menschensohn aus [den] Toten aufgestanden sei (9,9). Da sie weder das Aufstehen, noch den Auferstandenen sehen, werden sie auch nichts erzählen können. So kann auch keine Ostergeschichte erzählt, geschweige denn verkündigt werden.
Danach streiten sie miteinander (wörtlich eher: ermitteln sie gegeneinander) über die Auferstehung (9,10), anstatt ihn, den sie doch hören sollten, selbst darüber zu befragen. Außerdem greifen sie stattdessen eine vergleichsweise belanglose Frage der Schreiber auf, mit der sie den gerade erst gesehenen Elias und seine Bedeutung für den Messias als Propheten der Endzeit ansprechen (vgl. Mal 3,23). Daher nennt Mk zuerst den Elias, dann den Moyses (9,4).
Jesus geht auf ihre Messias-Erwartung ein, indem er seine Leidensweg-Prophezeiung ironisch zitiert, aber das von den Schülern angesprochene und dann doch ignorierte Thema der Auferstehung seinerseits ignoriert (Elias kommt wirklich zuerst und stellt alles wieder her? Und wie ist über den Sohn des Menschen geschrieben? Dass er vieles leiden und verachtet werden soll? (9,12).
Mit anderen Worten: Die Auferstehung wird hier als leibliche Erhöhung zu Gott gezeigt, sie ist am Ende des Leidensweges Jesu aber kein sichtbares, sondern ein verheißenes Ereignis, das die jüdischen Schriften (Gesetz und Propheten) nicht bezeugen können. Das auf judäochristliche Überlieferungen beharrende Triumvirat, insbesondere Petros, sieht zwar einen österlich erhöhten Jesus, erkennt ihn aber nicht, und hört ein neues Gebot Gottes, befolgt es aber nicht. So kann Petros kein Zeuge des Auferstandenen, kein Apostel sein.
Bemerkenswert ist schließlich, dass die Furcht der Drei, diese für Gottesbegegnungen typische Reaktion, erst nach der Vision Jesu einsetzt. Auf die Stimme Gottes und sein Gebot, auf Jesus als den geliebten Sohn zu hören, reagieren sie nicht. Als würden sie an ihm als ihrem Rabbi festhalten wollen. In bewusster Mehrdeutigkeit heißt es: Und das Wort hielten sie fest (9.10 vgl. 3,21).
Später lehrt Jesus dieselben drei Schüler und Andreas, den Bruder des Simon (vgl. 1,16), noch einmal ausdrücklich, dass er zu sehen sein werde (13,26 vgl. 14,62), nämlich am Ende der Zeit als richtender Menschensohn (vgl. Dan 8,17), der die von ihm Auserwählten versammeln und als seine Boten aussenden werde (13,27). Die drei Schüler mögen berufen sein, auserwählt aber sind andere (vgl. 13,20).
Jedenfalls warnt er sie bei dieser Gelegenheit mit klaren Worten davor, dem Aufstehen von Pseudo-Christussen und Pseudo-Propheten zu vertrauen (13,22). Insofern ist auch nachösterlich der Behauptung eines auferstandenen Christos kein Glauben zu schenken, in deutlicher Entsprechung zu dem, was bei der Geschichte des bzw. der zu Gott Erhöhten zu sehen, zu hören – und zu lernen wäre.