Ceterum censeo: War Petros von Beruf ein Fischer?
- martinzoebeley
- 4. Juli
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Juli

Aus Gründen, die noch zu benennen sein werden, halte ich es für falsch, wenn in der akademischen oder der kirchlichen Theologie…
…als Beruf des Petros und der anderen Brüder Fischer angegeben wird.
Geforscht wurde viel in den letzten Jahrzehnten über die Sozialstrukturen im antiken Galiläa. Von Bedeutung war das insofern, als dadurch die äußeren Lebensbedingungen Jesu ermittelt werden konnten, wobei stillschweigend davon ausgegangen wurde, dass Jesus tatsächlich in Galiläa gelebt habe.
Gleichwohl tragen die Erkenntnisse der Forschung für das Verständnis des Mk wenig aus, wie umgekehrt sein Text erstaunlich wenig austrägt für die historische Forschung. Insbesondere seine oft bissige Ironie lässt sich nur aus dem Text selbst deuten.
Das Milieu, in welchem Jesus seine ersten Schüler ansprach, gilt cum grano salis als erforscht. Im Ergebnis hat das nichts geändert, wenn es weiterhin heißt, dass Petros und die drei anderen Brüder ehedem Fischer von Beruf gewesen seien (wörtlich Salzer), bevor Jesus sie zu Aposteln berufen habe.
Abgesehen davon, dass der Begriff der Berufung weder zum Vorgang, noch zum Ergebnis der beiden parallelen Szenen des Mk passt (1,16ff; 1,19ff), stellt sich einmal mehr die Frage, ob die literarisch motivierte Berufs-Angabe überhaupt als historisches Faktum geltend gemacht werden kann.
Vielfach wird der Angabe noch das Epitheton einfach hinzugefügt: Die ersten Schüler Jesu seien einfache Fischer gewesen. Das soll wohl den Kontrast zwischen der ursprünglichen Bedeutungslosigkeit der galiläischen Fischer und ihrer späteren Relevanz für die Entstehung der Kirche betonen.
Dagegen soll hier aufgezeigt werden , warum das exegetisch so nicht zu halten sein dürfte. Die berufliche Zuschreibung, die vor allem auf 1,16 basiert, ignoriert die Pointe dieses Satzes – und darüber hinaus die besondere Bedeutung des Menschenfängers Petros, der von Mk permanent in Misskredit gezogen wird.
Sie beruht auch nicht wie bei Matthäus auf der Zusage Jesu, dass er die beiden Brüder Petros und Andreas zu Menschenfischern machen werde (Mt 4,19). Vielmehr klingt bei Mk ein unwilliger Unterton an, eine Skepsis, als distanziere er sich von ihnen: Und ich soll machen, dass ihr Fischer von Menschen werdet!? (1,17, vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-1-16-die-netze-des-simon-und-seines-bruders).
Der knappe Befehl davor deutet auch keine Berufung an, geschweige denn eine ehrenvolle Beauftragung. Die knappe Wendung Hierher, hinter mich! ist ein scharfes Kommando. Die beiden sollen sich buchstäblich hinter Jesus stellen (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wer-war-andreas).
Eine ausdrückliche Aufforderung zur Nachfolge sieht anders aus (vgl. 2,14; 10,21), die zur Schülerschaft kommt im Markus-Evangelium explizit nicht zur Sprache. Wichtig auch: Petros muss nach seiner Christus-Behauptung und seiner Ablehnung des Leidensweges Jesu ein zweites Mal zum unbedingten Gehorsam aufgefordert werden, wie die verschärfte Wiederholung in der Buchmitte zeigt (Geh los, hinter mich, Satan, 8,33).
Durch das Kommando spielt Mk auf einen Befehl in den jüdischen Schriften an, mit dem blinde Feinde Israels zur Nachfolge aufgefordert werden (4 Reg 6,19 LXX bzw. 2 Kön 6,19). Dieser Schlüsselszene aus der Elischa-Geschichte entsprechend stellt er das zweite Kommando in den weiteren Kontext der Scheinheilung eines Blinden (8,22ff; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-in-der-bibel-mk-8-22ff-jesus-heilt-einen-blinden).
Dies und die auffallende Stilisierung der beiden parallelen Berufungs-Szenen legt die Frage nahe, ob die beiden fiktiven Brüderpaare Simon und Andreas bzw. Jakobos und Johannes überhaupt jemals Fischer von Beruf waren. Auch der Mangel an entsprechenden Rekursen im weiteren Text lässt Zweifel daran aufkommen.
Das Ziel der ersten Szene ist die Pointe des Menschenfängers Petros (1,16ff), das Thema der zweiten der endzeitliche Lohn, den die beiden Söhne des Zebedaios erwarten, weswegen sie ihn mit den Lohnempfängern im Boot verlassen (1,19ff). Petros verlässt ausdrücklich nur die Netze, behauptet später aber, alles verlassen zu haben (10,28).
Ein irritierendes Moment im Erzähl-Ablauf ist die hier fragliche Berufs-Angabe, die knappe Begründung Denn sie waren Fischer (1,16). Wenn es Mk darum gegangen wäre, das als beruflichen Sachverhalt festzuhalten, hätte er die beiden Szenen sicherlich anders eingeleitet; dann hätte er von Beginn an davon erzählen können.
So aber dient die nachgeschobene Erklärung dazu, das irritierende Fehlen der Netze aufzufangen (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-1-16-die-netze-des-simon-und-seines-bruders).
Zudem ist sie der literarischen Absicht geschuldet, den bildhaften Ausdruck Menschenfischer zu motivieren. Dass der im Gegensatz zu den tradierten Petrus-Bildern negativ besetzt ist, zeigen die wenigen Parallelen (z.B. bei Jeremia, Jer 16,16). Als Menschenfänger ist der Petros des Mk letztlich der Satan, der Widersacher Gottes, der darauf achtet, was der Menschen ist, anstatt auf Gott (8,33).
Tatsächlich wird das Fischer-Thema im weiteren Text des Mk nicht ein einziges Mal mehr aufgenommen, im Unterschied zum weit ausgeführten Werk des Menschenfischers. Im Menschenfangen scheint der Petros des Mk allzu erfolgreich zu sein. Wenn aber mehr und mehr Menschen zu Jesus kommen, hat das zunehmend störende Folgen für ihn (vgl. 3,9; 5,24 u.ö.).
Sie kommen auch nicht nur von alleine. Mit einiger Ironie wird erzählt, wie alle, denen es schlecht geht, überall dorthin gebracht werden, wo sie hörten, dass er sei (6,55). Die Rettungsbedürftigen kommen also nicht von selbst zu Jesus, sondern werden auf die öffentlichen Marktplätze gelegt (6,56), dorthin also, wo Handel getrieben wird – wie später im Heiligtum (11,15ff). Ob Jesus das will, ob sie das wollen, - beides bleibt offen.
Derartige Indizien sprechen in der Summe dafür, die Pointe von 1,16 allein in der Menschenfänger-Rolle des Petros zu sehen. Das lässt sich an weiteren Details verfolgen.
1. Wie gesagt deutet Mk mehrfach an, dass die Menschen-Mengen ein fragwürdiger Erfolg des Menschenfängers sind - und nicht auf Jesus selbst zurückgehen. Darauf weist schon jene Szene hin, in der Petros erstmals als eigenständiger Akteur eingeführt wird.
Die anfängliche Zeitangabe, die auffallend umständlich vom nächtlichen Aufstehen Jesu am sehr frühen Morgen spricht (1,32ff), lässt vermuten, dass sie auf den nachösterlichen (!) Petros zu beziehen ist.
Anstelle eines Nachfolgens wird von einem unpassenden Verfolgen des Petros erzählt, der in der Einsamkeit den betenden Jesus findet – mit einer aus der Luft gegriffenen Begründung: Alle suchen dich. Tatsächlich sind es doch nur Petros und die von ihm, die Jesus suchen. Ob sie ihn finden, bleibt insofern offen, als sie sein Gebet zwar unterbrechen, seine Worte aber nicht hören.
Denn seine Reaktion deutet an, dass er mit ihnen nicht in die großen Städte gehen will, sondern [nur] deshalb herausgekommen sei, um in den Dorfstädten (κωμοπολις) ringsum zu verkünden. Mit dem ungewöhnlichen Terminus deutet Mk eine doppelte Einschränkung an: Petros soll ausdrücklich nur mit Jesus – und nicht in die Hauptstädte gehen.
2. So kennzeichnet Mk auch den wichtigen Kontrast von ländlichem und städtischem Raum. Die Schüler werden im ländlichen Raum Galiläas gezeigt, von wo aus sie als Apostel eigenmächtig in die Städte gehen, wie eine Bemerkung im Nachgang der Apostel-Aussendung zeigt.
Eigentlich sollten sie in der Einsamkeit der Wüste ausruhen (6,31), doch aus allen Städten (!) kommen Menschen-Mengen vor ihnen dorthin, die anstatt Jesus zu kennen (vgl. 8,27) die Apostel im Boot sehen – und sie wiedererkennen (sic! 6,32). Das bedeutet umgekehrt: Die Apostel hatten in allen Städten der Völker missioniert, ohne dazu beauftragt zu sein.
Mk lässt seinen Jesus nur en passant in die Städte gehen (6,56; besonders auffällig 10,46) – anders als seine eigenwilligen Verkündiger. Zu ihnen zählen außer den Aposteln auch scheinbar Geheilte (z.B. 1,45), darunter jener Besessene, hinter dem der Apostel Paulus erkennbar ist (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-des-sog-besessenen-von-gerasa-mk-5). Einzige Ausnahme mit den entsprechenden Folgen ist die Stadt Hierosolyma (Jerusalem).
3. Die ländliche Bildwelt in den Rätseln des Mk entspricht narrativ-theologischen Absichten. In ihrer Stilisierung sagt sie nichts aus über die Welt, in der Jesus gelebt und gewirkt hat, geschweige denn über die seiner Schüler (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markusevangelium-r-rätsel).
So entspricht beispielsweise die Gleichsetzung des Sämanns mit Jesus der Theologie des Abendmahls (4,3.14). Jesus ist der Geber des Brotes, der sich zugleich im Brot mitteilt. Mit der realen Landwirtschaft Israels und der Lebenswirklichkeit jüdischer Bauern hat das nichts zu tun. Auch das Weinberg-Rätsel lässt sich plausibel nur mit der narrativen Theologie des Mk erklären (12,1ff; dazu folgt ein separater Beitrag).
4. Die mit dem Fischerberuf verknüpften Begriffe spricht Mk in speziellen Kontexten an. Bei der ersten Sättigungsgeschichte verteilen die Schüler die beiden Fische weisungsgemäß an alle – und sammeln auch die Reste wieder ein (6,41f). Bei der zweiten Sättigung ist nach der geforderten Verteilung keine Rede mehr davon, geschweige denn von einem Einsammeln (8,7). Die Fischlein haben sie allem Anschein nach für sich behalten.
Das Meer wird von einer bloßen Ortsangabe (Meer von Galiläa) zum polyvalenten Symbol, als Ort der Chaoswasser etwa und des Schüler-Versagens, da es jeweils mit dem dramatischen Nicht-Erkennen Jesu verknüpft ist. Zudem kann das Meer den Weg zur Unterwelt andeuten, den zum Jenseits, wörtlich zum gegenüber (liegenden Ufer), das auf der Handlungsebene das Land der Nichtjuden bezeichnet.
So ist auch das Thema Boot aufschlussreich. Bevor Jakobos und Johannes ihren Vater mit den Lohnempfängern im Boot verlassen, verlässt Petrus mit Andreas nur die Netze (1,17ff; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-1-16-die-netze-des-simon-und-seines-bruders). Dass Petros damit als derjenige, womöglich sogar als der Einzige dasteht, der noch über ein Boot verfügt, hat Folgen.
Zum einen bräuchte Jesus selbst wenigstens ein Bötchen, um sich von den Massen abzusetzen, bekommt es aber zunächst nicht (3,9 vgl. 4,1). Zum anderen nehmen sie ihn ungefragt im Boot mit, wie er war (4,36; sc. als Mensch) – und geraten dabei in einen Sturm, in dem er seine Vollmacht (sc. als Gott) erweist. Trotzdem erkennen sie ihn nicht (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-der-sog-sturmstillung-mk-4-35-5-1).
Später erkennen sie, die im Boot beim Rudern gefoltert werden (6,48), Jesus noch immer nicht, als er an ihnen wie einst Gott an Mose vorübergehen will (Ex 33,18ff), und halten ihn für ein Gespenst. Wiedererkannt (!) wird er erst, nachdem sie das Boot verlassen haben (6,45), mit den oben skizzierten kuriosen Folgen.
Die wegen ihrer versteinerten Herzen als unverständig gescholtenen Schüler erkennen Jesus auch nicht in dem einen Brot, das sie im Boot bei sich haben, ohne es zu bemerken (8,14f).
Mit anderen Worten: Das Boot steht für den Reichtum und zugleich für die Erkenntnis-Probleme der Zwölf, besonders aber für die des gleichermaßen blinden wie tauben Petros. Dabei wäre es auch für ihn auf dem endzeitlich zu deutenden Meer besonders wichtig, Jesus als Retter erkennen und auf ihn hören zu können.
Auf den Begriff des Fischers, wörtlich des Salzers, kommt der Jesus des Mk einmal und nur andeutungsweise zu sprechen. Anders als bei Matthäus sollen seine Schüler nicht etwa Salz der Erde sein (Mt 5,13). Vielmehr sollen sie Salz in sich haben – nämlich das sog. Attische Salz, mit dem eine Rede gewürzt wird, – und Frieden untereinander halten (9,50).
Die Netze, die Petros eingangs verlässt (1,18), stehen allem Anschein nach für seinen sozialen Hintergrund. Damit ist der paradoxe Umstand auf der Erzählebene zu erklären, dass das erste Brüderpaar im Meer herumwirft (1,16), während das andere zeitgleich die Netze wieder herstellt (1,19). Letzteres lässt Jakobos und Johannes als Vertreter eines restaurativen Judäochristentums erscheinen.
Fazit: Mk erlaubt trotz der nachklappenden Begründung (denn sie waren Fischer, 1,16) keinerlei Rückschlüsse auf ein Vorleben der Akteure als Fischer, weder bei Petros, noch bei den drei anderen Brüdern. Die entscheidende Angabe eröffnet vielmehr einen reichen Fundus metaphorischer Anknüpfungspunkte.
Textpragmatisch formuliert: Mk will keine historischen Fakten überliefern, geschweige denn Jesus-Überlieferungen. Ihm geht es vielmehr darum, den in seinen Augen unangemessenen Erfolg des nachösterlichen (!) Petros im Rahmen seiner Jesus-Biographie aufs Korn zu nehmen.
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