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martinzoebeley

Ceterum censeo: Die sog. Hoheitstitel Jesu (7/7)

Aktualisiert: 26. Feb.



Aus Gründen, die noch zu benennen sein werden, halte ich es für falsch, wenn in der akademischen oder der kirchlichen Theologie…


… unkritisch Titel für Jesus verwendet werden, um damit die Frage zu beantworten, wer er in Wirklichkeit war.


Die entscheidende Frage legt Mk seinen Akteuren in den Mund: Wer also ist dieser? (4,41).


Erste Antworten darauf gibt es da bereits. Eine von einem Unreinen Geist, der Jesus als den Heiligen Gottes zu kennen behauptet, ihn zuvor aber als Nazarener anschreit (1,24).


Das ist typisch für den Unreinen Geist: Dass er sein widersprüchliches Jesusbild lautstark verkündet. Und es ist ein Witz des Mk, wenn durch ihn die Heiligkeit Gottes angesprochen wird (vgl. Lev 21,8).


Ein Witz ist es auch, wenn die Unreinen Geister Jesus huldigen, unmittelbar vor der Einsetzung der Zwölf (3,11). Die Pointe ist diesmal nicht ihre richtige Anrede (Du bist der Sohn Gottes), sondern die Fallhöhe, die dadurch zu den Zwölf entsteht. Die wissen offensichtlich nicht, mit wem sie es zu tun haben.


Wer also ist dieser? So fragen seine Schüler (4,41), obwohl sie inzwischen aus eigener Erfahrung selbst die Antwort darauf geben könnten: Jesus ist der Retter, der Wind und Wellen zum Schweigen bringen kann.


In der für Mk typischen Ironie lautet ihre Frage etwas anders: Wer also ist dieser, dass ihm sowohl der Wind als auch das Meer gehorcht? - Sie, die nicht auf Jesus hören, wundern sich im Nachhinein nur über den Gehorsam der Naturgewalten, anstatt ihrem Retter zu danken.


Ebenso ironisch ist Mk unmittelbar zuvor, wenn sie Jesus in Todesgefahr als Lehrer ansprechen. Wenn sie in der existenziellen Krise ihn nicht etwa um Hilfe bitten, sondern ihm sogar noch Vorwürfe machen (4,38). Da sind sie wie alle Gegner Jesu, die ihn als Lehrer ansprechen, ohne von ihm lernen zu wollen.


In der Exposition ist bereits ein wichtiger Hinweis versteckt: Sie nehmen ihn mit im Boot, wie er war (4,36). Dass sie ihn einfach mitnehmen, zeugt von Misstrauen und Ungehorsam. Jesus hatte ihnen zuvor geboten, gemeinsam zum Gegenüber hindurchzugehen - wie weiland Mose durch das Meer (4,35, vgl. Ex 14,16).


Die satirische Ironie wird von Mk fortgesetzt. Diesmal sind sie die gequälten Ruderer, weil der Wind ihnen auf dem Meer entgegen steht (6,48). Aus Erfahrung könnten sie Vertrauen zu Jesus haben, der sie rettet. Doch da halten sie ihn, der an ihnen vorbeigehen will, für ein Gespenst (6,49) - und schreien auf, wie der Unreine Geist zuvor (6,49; vgl. 1,23).


Auf dem Meer, das bei Mk topologisch die Grenze zwischen jüdischem und nichtjüdischem Gebiet markiert und allegorisch die Grenze von Leben und Tod, haben die Schüler kein (Gott-)Vertrauen, weil sie in Jesus die Vollmacht Gottes nicht erkennen können. Dabei hatte er ihnen gegenüber sich als Gott offenbart, wie JHWH sich einst dem Mose offenbart hatte (Ich bin; 6,50 vgl. Ex 3,6.14).


Darin unterscheiden sie sich wesentlich von Mose, dem Führer Israels, der Gott sehen will und seine Herrlichkeit beim Vorbeigehen wenigstens im Nachhinein erkennen kann (Ex 33,21f). Für sie bleibt die Selbst-Offenbarung Jesu folgenlos; Obwohl sie ihn sehen, erkennen sie ihn nicht.


Dennoch erkennen sie ihn im Nachhinein, nach ihrer Landung (6,54), ironischerweise erst, wenn sie aussteigen. Mit der Folge, dass sie herumlaufen und diejenigen, denen es schlecht geht, dort herumtragen, wo sie hörten, dass er ist (6,55). Sie, die Jesus selbst gesehen und das Ich-Bin von Jesus selbst gehört hatten, entfalten ihren eigenmächtigen Aktionismus aufgrund bloßer Er-Ist-Aussagen.


Von ihrem Herrn, dem guten Hirten, den sie zuvor in Jesus hätten erkennen können, nämlich bei der Sättigung der 5000 Männer (6,39ff), wissen sie nichts. Dabei waren sie selbst dafür verantwortlich, dass die eigens herbeigeströmten Menschen wie Schafe waren, die keinen Hirten haben. Jesus erbarmt sich ihrer, lehrt sie – und sättigt sie später (6,34ff).


Wer also ist dieser? Die Ironie spitzt Mk schon vorher zu, wenn Jesus bei der Entsendung der Zwölf bloß für den auferweckten Johannes gehalten wird, für Elias oder einen der Propheten (6,15). Und wenn Herodes über diese krude Meinungsvielfalt in Basta-Manier entscheidet, ohne zu realisieren, dass Jesus unmöglich der von ihm Enthauptete sein kann (6,16).


Das wirft die Frage auf, was die Zwölf bei ihrer Entsendung eigentlich gelehrt haben (6,30), zumal sie dazu nicht befugt waren. Bisher hatten sie selbst noch nicht einmal gelernt, dass Jesus der Kyrios ist, der Hirte, der sie zum frischen Wasser und zur grünen Aue führen kann. So fragen sie unmittelbar vor der nächsten Sättigungsgeschichte abfällig: Woher wird jemand diese hier sättigen können […]? (8,4).


Die für Mk typische Ironie wird auf die Spitze getrieben bei der Frage, die Jesus an die Schüler richtet (Was, sagen die Menschen, bin ich?, 8,27). Sie trifft ins Zentrum ihrer Verantwortung - als Schüler Jesu und als ehemalige Apostel.


Was auch immer sie über Jesus gelernt oder gelehrt hatten, für die Erkenntnis war es umsonst. Es ändert nichts daran, dass man ihn weiterhin bloß für Johannes hält, für Elias oder einen der Propheten (8,28) – also nur für einen Menschen. Ungerührt geben sie diese altbekannt-krude Meinungsvielfalt wieder.


Darauf folgt die entscheidende nächste Frage (Was, sagt ihr, bin ich?), die Petros mit dem Christus-Titel beantwortet (Du bist der Christus!, 8,29). Die Antwort wird zum Kipp-Punkt. Jesus folgt nicht dem Willen des Satans, der aus dem Petros spricht (vgl. 8,33), sondern schlägt gehorsam den Weg ans Kreuz ein. Den prophezeit er seinen Schülern dreimal, nicht mehr in kunstvollen Rätseln oder ironischen Kommentaren, sondern in Offenheit (8,32).


Es ist unbestritten, dass damit das Zentrum des Textes und seine Peripetie erreicht ist. Die Kehrtwendung Jesu hin zum Leidensweg wird auch daran deutlich, dass die Darstellungen seiner Machttaten vorbei sind, ebenso die Anspielungen auf das Brot, die von Anfang an den Text durchziehen, vom Getreide über den Sauerteig bis hin zum Brot, das die Schüler an Bord haben, ohne Jesus darin zu erkennen (8,14ff).


Stattdessen durchziehen nunmehr Hinweise auf das Leiden des Menschen Jesus und Anspielungen auf das angebliche Königtum des Christus die Passionsgeschichte. In der ersten entscheidenden Krise, im ersten Prozess fragt der Oberpriester Jesus nach dem Christustitel, wortgleich zur Christus-Behauptung des Petros (Du bist der Christus?, 14,61 vgl. 8,29).


Daraufhin offenbart Jesus sich erneut als Gott, wortgleich zu seiner Selbst-Offenbarung auf dem Meer (Ich bin, 14,62 vgl. 6,50). Das bleibt nun nicht mehr folgenlos. Aus Mangel an Entlastungszeugen löst es den naheliegenden Vorwurf der Gotteslästerung aus sowie den kollektiven Schuldspruch (14,64).


Dazwischen ist eines der sog. Menschensohn-Worte eingeschoben (14,63). Der Titel Sohn des Menschen ist ein literarischer Kunstgriff des Mk, um das autoritative Ich Jesu zu ersetzen durch einen alttestamentlichen Ausdruck für Mensch, der es seinem Jesus erlaubt, von sich selbst in der dritten Person zu sprechen.


Insofern ist Menschensohn kein Hoheitstitel, sondern – im Gegenteil – ein Kontrast-Ausdruck, ein Niedrigkeits-Titel, der die Differenz des Menschen Jesus zu seiner endzeitlichen Macht-Position andeutet. Und der doch auf der Erde schon über jene Vollmacht Gottes verfügt, die von jüdischer Seite abgelehnt wird (vgl. 2,10; 2,28).


Der Titel Menschensohn hat seinen Grund in der paradoxen Niedrigkeitstheologie des Mk. Das von ihm gezeichnete Jesus-Bild, das Bild eines Sklaven, eines Gottesknechts, der demütig in den Tod gehen muss (vgl. Jes 53), wäre unvereinbar mit Äußerungen, die vollmundig das Gegenteil bedeuten, etwa die Prophezeiung eines machtvoll erhöhten oder in Wolken (d.h. als Gott) wiederkehrenden und richtenden Jesus (13,14,63, vgl. Dan 7,13).


Einen kleinen EInblick in die Zeit des Mk erlaubt die Prophetische Rede mit ihren Anspielungen auf den Missbrauch der (jüdischen) Titel. Denn es werden viele kommen, die unter seinem Namen Ich bin sagen (13,6). Außerdem werden Lügen-Christusse und Lügen-Propheten geweckt werden (13,22), um die von Jesus Auserwählten irrezuführen.


In diesem Zusammenhang warnt Jesus davor, denen zu glauben, die sagen: Sieh, hier ist der Christus, siehe dort (13,21). Deutlicher wurden Visionen eines auferweckten Christus kaum jemals abgelehnt - zur Legitimation eines Apostels kommen sie nicht in Frage.


Die beiden Entsendungsgeschichten bereiten die Passion Jesu vor. Sie zeigen in hintergründiger Weise noch einmal das ironische Aufspießen jener fragwürdigen Titel, die ihm durch seine Schüler zuteil werden.


Zur Auffindung eines Fohlens, das zwei eigens dafür entsandte Schüler im Dorf auf der Gegenseite (sc. Bethlehem) holen sollen, beauftragt Jesus sie mit der abartigen Erklärung Der Herr braucht es (11,3), - wobei das Wort für Herr auf den Kyrios der Juden und das Wort für brauchen auf den demonstrativ ungenannten Christus-Titel anspielt.


Zur Auffindung des Gastzimmers für das Passah(-Lamm), wörtlich: des Ausspanns, das im Wort schon ein Außer-Kraft-Setzen andeutet, sollen die beiden entsandten Schüler sich dagegen nur auf den Lehrer berufen – bei der abartigen Botschaft, die sie dem Hausbesitzer zu überbringen haben, dem Herrn über die Sklaven (14,14).


Der Spott, der dem Christus Jesus in der Passionsgeschichte aus beiden Richtungen zuteil wird, sowohl von römischer Seite (König der Judäer), als auch von der jüdischen (Christus, König Israels), spricht ohnehin Bände.


Und wenn schließlich der Bursche im Grabdenkmal über Jesus nichts Besseres zu sagen hat als das, was er über den gekreuzigten, geweckten und angeblich nicht anwesenden Jesus weiß (16,6), hat auch er von der Bedeutung der Auferstehung Jesu und seiner Erhöhung nichts verstanden.



Fazit: Entscheidend für Mk ist nicht, wer er war, wie der Centurio es behauptet (15,39), sondern, dass er ist. Die Frage der ahnungslosen Schüler enthält bereits eine Antwort (4,41). Wer der geschichtliche Jesus in Wirklichkeit war, lässt sich allein mit den sog. Hoheitstiteln des Mk nicht beantworten.


Die verbreiteten Interpretationen ignorieren meist deren Kontext-Bezogenheit und den Sinn des Mk für Ironie. Die (judäochristlichen) Schüler, die Jesus nur als Menschen erkennen, sind Opfer des Satans und bringen Jesus als den erniedrigten Sklaven Gottes noch einmal ans Kreuz. Dazu folgt ein eigener Beitrag demnächst.


Weil insbesondere das Leitungsgremium der Zwölf, das nicht an Mose anschließt, von Mk zu lernunwilligen Schülern degradiert wird, bleibt das Lehrer-Schüler-Verhältnis erfolglos. In der deutschen Begrifflichkeit vom Meister und seinen Jüngern kommt das nicht angemessen zum Ausdruck.


Viele Titel und Metaphern, darunter die für Jesus wichtigsten, werden im Text des Mk nicht explizit genannt, sind aber in Rätseln oder Andeutungen erkennbar (z.B. Retter, Hirte, Licht bzw. Lampe, Brot, Gesandter, Wort, Gott, Sklave, Passah-Lamm).


Die folgende, sicherlich unvollständige Aufstellung lässt ahnen, wie problematisch umgekehrt manche der etablierten Titel im Text des Mk sind (z.B. Christus, König, Lehrer bzw. Rabbi).


Insofern ist auch der Versuch abwegig, mit Mk eine Antwort darauf geben zu wollen, welcher der Titel für das Selbst-Verständnis des historischen Jesus von Bedeutung gewesen sein könnte. Ob Jesus sich selbst als Messias gesehen hat, ist allein eine Frage der Phantasie.


Ähnlich ist es mit den meisten Zuschreibungen der Historischen Jesus-Forschung. Ihre allgemein rezipierte Theorie, dass Jesus neben dem Lehrer und Heiler auch ein Kultstifter, Charismatiker und Dichter (!) gewesen sei, sagt mehr aus über sie selbst als über ihr Forschungsobjekt.


Bei Mk wird Jesus folgendermaßen angesprochen bzw. bezeichnet:


1. Als geliebter Sohn nur von der himmlischen Stimme (Gottes; 1,11; 9,7).

2. Als Sohn Gottes nur von Unreinen Geistern bei ihrer Huldigung (3,11).

3. Als Sohn eines Gottes nur vom Centurio auf der Gegenseite des Gekreuzigten (15,39; vgl. 13.) sowie in einer nachgetragenen Ergänzung der Überschrift (1,1).

4. Als Lehrer nur von denjenigen, die nichts von ihm lernen (einzeln oder im Kollektiv), von Schülern, Pharisäern, Herodianern, Sadduzäern, Schreibern (4,38; 9,38; 10,35; 12,14.19.32 u.ö.).

5. Als Guter Lehrer nur von dem Einen, wobei Jesus das Epitheton gut nur gelten lässt für Einen, Gott (10,17f). Auch der Eine wird am Ende nichts gelernt haben.

6. Als Rabbi nur von Petros und Judas in ihrer judäochristlichen Perspektive auf den Menschen Jesus, in dazu jeweils unpassenden Situationen (9,5; 11,21; 14,45).

7. Als Christos je einmal von Petros (8,29) und im ersten Prozess vom Oberpriester (14,61), hinter dem wiederum Petros erkennbar ist; außerdem im Spott der Oberpriester und Schreiber nach der Kreuzigung (15,32).

8. Als König der Judäer von Pilatus im zweiten Prozess (15,2.9.12) und im Spott der Soldaten bei der Königstravestie vor der Kreuzigung (15,18); der falsche Titel bezeichnet am Kreuz Jesu seine Schuld - und ironisch den Grund für seinen Tod (15,26).

9. Als König Israels nur im Spott der Oberpriester und der Schreiber (15,32, vgl. 7.).

10. Als einer der Propheten nur von der vox populi, auch im Echo der Schüler (6,15; 8,28). Als Prophet entspräche er dem Johannes d.T., der für einen Propheten gehalten worden war (11,32; vgl. Jesus dazu in 6,4).

11. Als Bruder nur indirekt, von den Zuhörern in der Synagoge der sog. Vaterstadt (6,3).

12. Als Nazarener (d.h. als Mensch mit Abstammung, wörtlich etwa als Sprösslinger) von einem Unreinen Geist (1,24, vgl. 15.), indirekt auch von einem Mädchen bei der Apostasie des Petros (14,67) und vom Burschen im Grabdenkmal (16,6), außerdem beim blinden Bartimaios (10,47).

13. Als Sohn des Menschen (Menschensohn) von niemand anderem als von Jesus selbst (2,10 u.ö.).

14. Als Mensch nur vom Centurio, der nach dem Zerreißen des Tempelvorhangs den so Gestorbenen für den Sohn eines Gottes hält (15,39, vgl. 3.).

15. Als Sohn Gottes, des Höchsten (bzw. als Sohn des höchsten Gottes, vgl. Zeus) nur von einem Unreinen Geist, der aus dem Besessenen (Paulus) spricht (5,6).

16. Als Heiliger Gottes (vgl. 2 Kön 4,9) nur von einem Unreinen Geist, der Jesus als Nazarener anspricht (vgl. 11.), dann aber behauptet, ihn als den Heiligen Gottes zu kennen (1,24).


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