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Übersetzungsfehler in der Bibel: Mk 2,23 - Jesus ging durch Kornfelder?

martinzoebeley

Aktualisiert: 2. Dez. 2024


Die Antwort in Kurzform: Nein. In der Bibel steht das so nicht, im Unterschied zu deutschen Übersetzungen, in denen der Begriff Kornfelder antelle der Saaten verwendet wird. Der griechische Text ist klar: Jesus ging durch die Saaten (2,23 vgl. Mt 12,1; Lk 6,1). Unklar ist nur, was das bedeutet.


Die kurze Geschichte, die Mk als Aufhänger eines Streitgesprächs mit zwei knappen Sätzen erzählt, hat es in sich. Von den angeblichen Kornfeldern ist im ersten Satz einfach deshalb die Rede, weil es im zweiten heißt, dass die Schüler die Ähren abrupfen. Um diesen Widerspruch auszugleichen, wurden die Saaten zu Kornfeldern. Das Bedürfnis nach einem stimmigen Erzähltext macht Pointen des Mk zunichte.


In der Einheitsübersetzung sind beide Sätze verkürzt zusammengefasst: An einem Sabbat ging er durch die Kornfelder und unterwegs rissen seine Jünger Ähren ab. (EÜ 2,23). Wozu die Schüler das tun, erfahren wir nur bei Matthäus und bei Lukas: Um die Ähren zu essen (Mt 12,1; Lk 6,1). Lukas erklärt außerdem, dass sie die Ähren mit den Händen zerreiben.


Was wie eine harmlose Erläuterung aussieht, lässt ahnen, dass es bei den Ähren um mehr geht als um ein Nahrungsmittel. Der Verzehr von Körnern bzw. bei Mk der Frucht wäre plausibel; das Essen von ganzen Ähren lässt einen symbolischen Hintergrund vermuten, möglicherweise eine Anspielung auf den in Rom bekannten Christen Stachys (wörtlich: Ähre, vgl. Röm 16,9).


Worin liegt also das Problem? In einem geistlichen Hunger – oder der gesetzlosen Weise, ihn zu stillen? Mk beantwortet das nicht, jedenfalls nicht offen. Der Widerspruch zwischen den Saaten Jesu und den Ähren der Schüler ist jedenfalls gewollt: Wo Jesus noch in der Saat unterwegs ist, rupfen die Schüler (jüdische) Ähren ab.


Außerdem gibt der anschließende Dialog zwischen Pharisäern und Jesus Aufschluss, freilich ohne die Schüler daran zu beteiligen. Wenn Jesus am Sabbat durch die Saaten geht, stört das die Pharisäer nicht, die ihn zu Beginn des Streitgesprächs nur auf seine Schüler ansprechen: Sieh, was tun sie am Sabbat, das nicht erlaubt ist? (2,24).


Wie sie auf diese Frage gekommen sind, ob sie etwa im Feld auf der Lauer gelegen waren, spielt keine Rolle. Ihre Frage wegen des Sabbatbruchs der Schüler richten sie an Jesus. Dabei ist er es, der am Sabbat durch die Saaten entlanggeht.


Ob die Pharisäer sich so gut in der Tora auskennen, um zu wissen, dass die Ernte einzelner Ähren durchaus legitim ist? Im Feld des Nächsten dürfen Ähren mit der Hand abgepflückt werden. Was nicht legitim ist, ist ebenso klar geregelt, nämlich die Sichel dafür zu verwenden (Dtn 23,26). Wenn Mundraub also erlaubt ist, wo ist dann das Problem?


Die Pharisäer scheinen die Tora willkürlich in Anwendung zu bringen, wenn sie den Sabbatbruch nur bei den Schülern kritisieren. Das eigentliche Problem bemerken sie ohnehin nicht, so wenig wie die Übersetzer:innen, die ihrerseits nur diesen vermeintlichen Rechtsbruch wahrnehmen und die Geschichte somit aus ihrem weiteren Verlauf deuten, statt von ihrem Anfang her. Der enthält den entscheidenden Deutungs-Schlüssel.


Mit der einleitenden Formel Und es geschah greift Mk auf den Ur-Anfang zurück, auf den Schöpfungshymnus (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-a-anfang). Das Schöpfungshandeln Gottes ist zeichenhaft bereits an den Saaten zu erkennen, an dem also, was Gott selbst wachsen lässt, natürlich auch am Sabbat.


Das Wachstum der Saaten wird später zum großen Thema der Rätselrede, in der Jesus sein Wort als Samen und sich selbst als Sämann deuten lässt (4,3.14), entsprechend der künftigen Mahlfeier, in der er selbst Brot und Geber des Brotes ist.


Das Problem in der Rede ist ein vergleichbares: Vögel kommen und fressen auf, was auf den Weg gesät ist (4,4). So kann nichts aus dem Samen werden. Und ohne das Wachsen der Saaten kann Jesus nicht zu dem werden, als das er erkennbar sein wird, zum Brot.


Wenn die Schüler die Ähren abrupfen, verhindern sie, dass Andere später ihren geistlichen Hunger am (jüdischen) Brot stillen können. Das bedeutet, dass die Schüler von Anfang an aktiv gegen die entscheidende Erkenntnis vorgehen und Jesus als Brot verhindern.


In deutschen Übersetzungen fehlt nicht nur der Bezug auf das Schöpfungshandeln Gottes, sondern sogar die eigentliche Pointe der Geschichte: Die Schüler sind es, die sich selbst einen Weg machen.


Das Bild des Weges steht bei Mk für das jüdische Gesetz und deutet ihre eigenwillige Art der Nachfolge an und damit eine Autonomie, die von vorneherein nicht nach dem Weg Gottes zu fragen scheint. Die deshalb auch nicht in der Tradition des Johannes steht und seinem prophetischen Auftrag, dem Kommen des Herrn den Weg zu bereiten (vgl. 1,3; Jes 40,3).


Das ist das eigentliche Problem, das die Pharisäer nicht sehen können und die Übersetzer:innen übersehen. In der Vulgata heißt es verharmlosend: coeperunt praegredi (sie begannen vorauszugehen).


Wörtlich lautet der Vers also etwa: Und es geschah, dass er am Sabbat durch die Saaten entlangging. Und seine Schüler begannen, einen Weg zu machen, die Ähren abrupfend.

Abschreiber früher Handschriften hat auch der Widerspruch gestört, den schon Lukas beseitigt hatte: Dass Jesus durch die Saaten und doch entlang- bzw. vorübergeht (vgl. 9,30).


Manche Übersetzer:innen (z.B. EÜ, s.o.) unterschlagen außerdem die bemerkenswerte Angabe, dass die Schüler erst damit beginnen, einen Weg zu machen. Das entspricht dem für Mk typischen hebraisierenden Erzählkolorit, ist aber mehr als nur ein Textsignal für einen judäochristlichen Kontext.

Hier deutet es den Widerspruch an, dass ihr autonomes Beginnen nicht zum Anfang Gottes passt, zu seiner Neuschöpfung, die an den Saaten bereits erkennbar ist.


Erst im Nachgang der Geschichte greift Jesus von sich aus den Vorwurf des Sabbatbruchs auf (2,27), den die Pharisäer den Schülern gemacht hatten anstatt seinem Sabbatbruch. Daher nimmt er sie vorab aus der Schusslinie, indem er die Pharisäer auf die jüdischen Schriften aufmerksam macht und an David erinnert, der aus Hunger unerlaubt die Schaubrote im Haus Gottes und sie denen gab, die mit ihm waren (2,26, vgl. 1 Sam 21,7).


In dieser quasi-eucharistischen Formulierung erscheint es zweifelhaft, ob geistlicher Hunger im Tempel gestillt werden kann. Eine Frage, die noch lange offen bleibt (vgl. 11,13).


Die Pharisäer kritisieren übrigens nicht, dass Jesus ihnen en passant den falschen Namen eines Oberpriesters nennt. Das ist eine Pointe des Erzählers, auf die sie nicht reagieren (Abjatar statt Ahimelech, 2,26). In der Geschichte Israels, konkret, im Leben des noch ungesalbten David, kennen sie sich nicht gut genug aus, um diesen bedeutungsvollen Fehler zu bemerken. Abjatar bedeutet "mein Vater hat Überfluss gegeben".


In seiner Rätselrede kommt Jesus noch einmal auf das Wachstum einer einzelnen Ähre, auf die Frucht und dann auch auf die Sichel zu sprechen: Wenn aber die Frucht überliefert (sic!), sendet er sofort die Sichel aus; denn die Ernte hat sich eingestellt (4,29). Warum auch dieses Gerichtswort in deutschen Übersetzungen ganz anders wiedergegeben wird, ist eine Frage, die in diesem Blog noch lange offen bleibt.

 
 
 

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