Glosse: Ist es erlaubt...?
- martinzoebeley
- vor 3 Tagen
- 4 Min. Lesezeit

Ist es erlaubt…? – So fragen bei Mk die Pharisäer. Sie vertreten damit institutionell alte Traditionen (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wer-sind-die-pharisäer-bei-mk).
Also geht es ihnen nicht einfach nur um Nostalgie. Vielmehr sollen die von ihnen aufrecht erhaltenen Traditionen der Maßstab für ein gottgefälliges Leben sein. Jesus lehnt das ab.
Heute werden für derlei Fragen kirchliche Kommissionen eingesetzt. Die haben darüber zu befinden, was erlaubt ist und was nicht, bevor sie eine Entscheidung erklären, die dann ihrerseits zum Maßstab erklärt wird, wenn auch nicht für ein gottgefälliges Leben.
In jedem Fall vertreten sie institutionell das gute, das richtige Leben. In unseren so komplexen Lebenswelten wird man ihnen dafür nicht dankbar genug sein können. Wenn eine Kommission erklärt, was wie zu beurteilen ist, wissen alle, was zu tun ist, und müssen ihr Gewissen nicht auf die Probe stellen.
Freilich gibt es Fragen, die bis heute von keiner Kommission geklärt wurden. Ein Beispiel: Ist es erlaubt, beim Abendmahl einen süffigen griechischen Wein anzubieten? Umgekehrt gefragt: Was spricht dagegen? Der Zuckergehalt? Der weite Transport-Weg? Oder das alte Lied, das noch immer zum Mitgrölen einlädt?
Vielleicht gibt es Frauen, denen griechischer Wein Kopfschmerzen bereitet. Wenn er sie an den Schwerenöter Udo Jürgens erinnert, der ihnen auch noch anderes verabreicht hat, womöglich gegen ihren Willen. Oder sind sie noch heute stolz darauf? Non liquet.
Alte Lieder, also die wirklich alten Lieder, zählen, wie andere liturgische Traditionen auch, zum brüchig gewordenen Fundament der Kirche. Jede Kantorin, jeder Kirchenmusiker kann davon ein Lied singen.
Apropos: Die EKD hat im Jubiläumsjahr der Reformation entschieden, dass es ein neues Gesangbuch geben soll. Mitten im Luther-Hype 2017 wurde also eine Publikation beschlossen, die vermutlich auf einige seiner Leisen und Leichen verzichten wird.
Darüber hat nun eine Kommission zu entscheiden, die aus Fachleuten für so ziemlich alles besteht, besonders für den Proporz. Wieviel Luther am Ende noch enthalten sein wird, welche Lieder und Gesänge künftig erklingen werden, in welcher Fassung – all das ist noch offen.
Vorerst bleibt abzuwarten, was die eigens eingesetzte Ethik-Kommission dazu sagt. Ist es erlaubt, ein Kinderlied zu singen, das einst ein Gebet für „des Papsts und Türken Mord“ war? Ist es erlaubt, Lieder von einem Verfasser zu singen, der auch gegen Juden gehetzt hat? Die Tradition hat’s geheiligt.
Mit dem Zuwachs neuerer Lieder stellen sich noch heiklere Fragen. Ist es erlaubt, dass in Zukunft Lieder gesungen werden, die gendergerecht Gott wie eine Göttin besingen? Was ist mit Popsongs, die trotz vieler Hallelujahs in Richtung Kirchenkitsch kippen? Darf ein Lied auch dann noch gesungen werden, wenn sein Verfasser straffällig geworden ist?
Seit einiger Zeit schon wird die Frage aufgeworfen, ob der Gassenhauer Laudato sí gecancelt werden müsse. Denn er stammt von einem Priester, der nicht nur schwul war, sondern bevorzugt jungen Schutzbefohlenen Wein anbot, um ihnen anderes anbieten zu können.
Das beliebte Lied, über das die Ethik-Kommission befinden sollte, stand bisher unbehelligt im Evangelischen Gesangbuch (EG 515). Außer Franz von Assisi war da kein Name vermerkt, geschweige denn ein Hinweis auf die inzwischen belegten Missbrauchs-Fälle, freilich nicht des Heiligen Franz, sondern des scheinheiligen Winfried.
Angeblich hat die Ethik-Kommission, die eigens dazu geschaffen wurde, reinen Wein einzuschenken, bereits entschieden, dass dieses Lied nicht mehr gesungen werden sollte. Jedenfalls wird es im neuen Gesangbuch nicht mehr enthalten sein.
Der Grund für das Non licet liegt in den berechtigten Vorwürfen gegen seinen Verfasser. Außerdem ist das Lied noch ein Plagiat. Der Text basiert auf dem Sonnengesang des Hl. Franziskus – und die Melodie, sofern man die banalen Tonwiederholungen so nennen kann, auf einem italienischen Schlager aus den 1970ern.
Kann es also erlaubt sein, dieses populäre Lied noch zu singen? Umgekehrt gefragt: Lässt sich die Schuld seines Verfassers mit Verschweigen aus der Welt schaffen? Sieht so die Rücksicht auf Opfer sexueller Gewalt aus?
Das Lied zeigt in besonderer Weise, was Luther einst angestrebt hatte: Dass die Jugend etwas heilsames lernete. Luther selbst hat übrigens plagiiert, wo immer er konnte, musste sich aber nicht mit Urheber-Fragen rumschlagen. Wahrscheinlich würde es ihn freuen, wenn er die einfältigen Kinderchen hörte und alle, die das Lob des Schöpfers mitgrölen.
Im Ernst: Ausgerechnet jenes Lied, das Kinder seit Jahrzehnten besonders gerne singen, steht auf dem Index, weil sein Verfasser sich nicht nach heute geltenden Verhaltens- Normen gerichtet und seine Schuld nicht eingestanden hat. Weil außerdem die Kirche ihren eigenen moralischen Maßstäben nicht gerecht wurde und als System versagt hat.
Eine Kommission hat zwischenzeitlich empfohlen, das Lied zu ersetzen, andernfalls aber vor dem Singen auf „seine Missbrauchsproblematik und Tätersituation hinzuweisen oder bei der Erstellung eines Liedblatts einen entsprechenden Hinweis hinzuzufügen“. Darf man also den Schöpfer der Welt erst dann loben, wenn man den Schöpfer des Liedes kennt?
Was aber hätte ein komplettes Canceln für Konsequenzen? Was muss man / frau denn noch alles wissen über die anderen Namen, über das Fehl-Verhalten der noch lebenden Autoren? Eine Kommission könnte eigens dafür eingesetzt werden, wenn bei solcher Inquisition nicht die Lust zu singen verginge.
Man darf also gespannt sein, welche Lieder fröhliche Urständ feiern werden. Konkret: wie die Ethik-Kommission im Fall eines beliebten Osterlieds entscheiden wird (EG 556, Regionalteil Bayern). Wird sie den Hinweis anmahnen, dass der Komponist 2009 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde – wegen eines Femizids? Tatsächlich hatte er weder den Papst ermordet, noch den Türken, aber die ihm angetraute Frau.
NB: Jesus hat die Frage aufgegriffen und zurückgefragt: Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Schlechtes, Leben zu retten oder zu töten? (3,5) Die Pharisäer beantworten diese ambivalente Pointe nicht. Schließlich erklären sie, er lehre den Weg Gottes in Wahrheit (12,13). Erinnert das nicht an kirchliche Kommissionen?
W. W. J. D.
%2C%20Schweizerisches%20Nationalmuseum.jpg)



Kommentare