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Fragwürdige Theorien in der Forschung (1/2) - Die Quellen des Mk

Aktualisiert: 6. Juli 2023



1. Die angeblichen Jesus-Traditionen

Es gehört zum Common Sense der Neutestamentlichen Forschung, dass Mk von den ihm vorgegebenen Jesus-Traditionen abhängig sei. Schon bald nach der Kreuzigung seien Berichte über Jesus in Umlauf gekommen, zunächst mündliche, dann auch schriftliche Überlieferungen seines Lebens und seiner Lehre. Mk habe sie gesammelt, geordnet, aufgeschrieben und so die Gattung Evangelium geschaffen.


Am deutlichsten seien schriftliche Traditionen erkennbar im Passionsbericht (sic!), außerdem in Sammlungen von Streitgesprächen (2,1 - 3,6) und Gleichnissen (4,3-9.13-20.26-32), außerdem in der Rede über die Endzeit (Mk 13,3-37). Gerade diese Texte lassen sich problemlos auch als kunstvolle Kompositionen des Mk interpretieren. Es bleibt offen, wieweit er Jesus-Überlieferungen kannte, sofern es sie überhaupt gab - über das schon bei Paulus erkennbare Maß hinaus.


Doch damit war entschieden, dass Mk als Sammler und Redaktor solcher Traditionen zu bewerten sei und nicht als ein eigenständiger Schriftsteller. Folgerichtig konnte sein Text als Fundgrube angeblicher Jesus-Traditionen dienen, ohne sie jemals nachgewiesen zu haben. So wurde er, was er nicht sein wollte: eine Quelle über die Person Jesu und ihre historischen Bedingungen.


Damit sind die Jesus-Traditionen ein Forschungs-Konstrukt, das viel über wissenschaftliche Willkür und die hinter ihr stehenden Forschungs-Interessen aussagt. Wer authentische Jesus-Logien suchte, konnte sie angeblich bei Mk finden – alternativ auch in Q, einem weiteren Konstrukt der Forschung.


Seit je war das Bild der Text-Entstehung geprägt von dem Versuch, den Text trotz des zeitlichen Abstands möglichst nahe an Jesus heranzurücken, um ihn dadurch historisch erklärbar zu machen. Umgekehrt wurden mithilfe dieser Erklärungen weitreichende exegetische und historische Entscheidungen getroffen.


Die Behauptung von Tradition und Redaktion bei Mk führte zu fragwürdigen, auch skurrilen wissenschaftlichen Auswüchsen. Meiner Ansicht nach können wir gesicherte Aussagen über die Traditionen des Mk nicht treffen, so wenig wir die Gestalt eines Historischen Jesus aus seinem Text erheben können.


Der Grund ist einfach: Der Text ist keine Biographie, sondern eine episodische Erzählung über das Unverständnis sämtlicher Akteure und dessen Folgen. Erst im Nachhinein wurde sie zum Bericht über die Lehre Jesu (vgl. Mt) und sein Leben (vgl. Lk) historiographisch umgedeutet. Die einzigen im Text zweifelsfrei nachweisbaren Traditionen entstammen jüdischen Schriften.



2. Die sog. Zweiquellentheorie

Die Theorie, dass die Evangelien nach Mt und Lk die Texte von Mk sowie einer zweiten schriftlichen Quelle voraussetzen, gehört zu den bahnbrechenden Ergebnissen der deutschen Theologie des 19. Jahrhunderts. Bis heute wird sie besonders im deutschen Sprachraum als wichtigstes Erklärungsmodell der sog. Synoptischen Frage vertreten.


Es steht außer Zweifel, dass Mt und Lk den Text des Mk übernommen haben. Meiner Ansicht nach hat Mt ihn im Sinne der Judäochristen umgearbeitet und dabei die Jüngerkritik weitgehend unschädlich gemacht. Das aber hat er nicht mithilfe weiterer, erst ihm vorliegender Jesus-Traditionen getan, sondern mit jenen literarischen Mitteln, die er ebenfalls von Mk übernehmen konnte.


Ich gehe davon aus, dass Lk beide Texte kannte, den von Mt und den von Mk. In seiner harmonisierenden Tendenz ließ er vieles weg, was an der Jüngerkritik des Mk anstößig war (vgl. die sog. Lukanische Lücke). Lk zeigt damit einen deutlich größeren Abstand zu den Spannungen des Mk, dessen Text er auf die ihm eigene literarische Weise entschärfen und für hellenistische Leser:innen fruchtbar machen konnte.


Das Problem der Zweiquellentheorie bleibt ungelöst: Eine zweite schriftliche Quelle neben dem Text des Mk ist nicht nachweisbar. Dass die sog. Logienquelle nie existiert hat, legen Forschungsergebnisse v.a. im englischen Sprachraum nahe. Sie führen zu anderen Erklärungen der Synoptischen Frage (Benutzungshypothesen etc.).


Der Name Logienquelle verdankt sich der Erkenntnis, dass diese hypothetisch vorausgesetzte Schrift vor allem Jesusworte und kaum Erzählstoff enthalten habe. Zugleich verrät er das Bemühen, auch sie als Sammlung von Jesusworten möglichst nahe an den historischen Jesus heranzurücken. Nur so konnte dieses Quellen-Konstrukt angeblich authentischer Jesus-Worte zum Ausgangspunkt für das Konstrukt einer Lehre Jesu werden.



3. Die Hypothese eines Urmarkus bzw. eines Deuteromarkus

Sie verdankt ihre Existenz einem forschungsgeschichtlichen Dilemma. Der etablierten Zweiquellentheorie widersprach die Einsicht, dass sie mit den sog. minor agreements, den Übereinstimmungen von Mt und Lk gegen Mk, nicht vereinbar war. Die passten nicht ins System, waren aber quantitativ wie qualitativ alles andere als eine Quantité négligeable.


Um dennoch an der Zweiquellentheorie festhalten zu können, wurde ein nicht nachweisbarer zweiter Mk erfunden, der entweder vor dem uns bekannten Text (Urmarkus) entstanden sei oder danach (Deuteromarkus). Doch erlauben weder der überlieferte Text, noch seine Überlieferungsgeschichte derartige Spekulationen.


Meiner Ansicht nach kann der Text des Mk zur Klärung der Synoptischen Frage nichts beitragen. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.


Vorschau: Fragwürdige Theorien (2/2)

Zu Mk 13,2 - Deutung und Datierung

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