Anmerkung – gegen den sog. vormarkinischen Passionsbericht
Aktualisiert: 18. Sept. 2024

Schon klar, Wissenschaft läuft über den Konsens. Wenn aber ein Konsens von Forschenden auf falschen Übersetzungen sowie fragwürdigen und unbewiesenen Behauptungen basiert, bedarf es eines entsprechend deutlichen Einspruchs.
Eine kaum begründete und doch permanent vervielfachte Theorie behauptet die Existenz eines sog. vormarkinischen Passionsberichts. Dagegen spricht so ziemlich alles, was am Text selbst sich beobachten lässt.
Die offizielle Schulmeinung geht nach wie vor davon aus, dass Mk seine Passionsgeschichte nicht eigenschöpferisch erzählt, sondern einen vorhandenen Bericht seiner Erzählung zugrunde gelegt habe. Damit steht und fällt auch ein Urteil über deren literarischen Rang.
Ein Redaktor, der Jesus-Überlieferungen sammelt und (für die Nachwelt??) aufbereitet, hat sehr viel weniger zu leisten als ein Erzähler, der ein umfangreiches theologisches Kunstwerk verfasst. Es versteht sich von selbst, wo ich Mk verorte; aber darum geht es hier nicht.
Es ist offensichtlich, dass die Belege den wissenschaftlichen Konsens nicht tragen können. Weder die Entstehungsgeschichte, noch die Eigenschaften der vermuteten Texte lassen sich glaubwürdig rekonstruieren. Was wurde mündlich, was schriftlich tradiert? In welcher Sprache? Was gehörte wann zu welchem ursprünglichen Text-Bestand?
Obwohl wir nichts darüber wissen – und nichts wissen können, werden höchst spekulative Erklärungen dazu verbreitet, meist apodiktische Behauptungen ohne jeden Erkenntniswert. Mit Verlaub: Das ist nicht die Aufgabe einer Wissenschaft, die diesen Namen verdient.
Schon der Begriff eines Passionsberichts ist problematisch, da er suggeriert, es habe Augenzeugenberichte des Geschehens gegeben. Mk habe diese überlieferten Fakten beschrieben, nicht seine eigene literarische Fiktion. Das aber ist seinerseits Fiktion.
Das Gegenteil lässt sich exegetisch an vielen Details zeigen. Das wichtigste Argument gegen die Existenz eines solchen Berichts ist der kunstvoll-konstruierte Aufbau der Passions-Erzählung. Der entspricht haarscharf der sonstigen Erzählweise des Mk.
Der auktoriale Verfasser liebt narrative Symmetrie-Bildungen, sog. Sandwich-Konstruktionen. Es steht außer Frage, dass in der Mitte der gesamten Erzählung die Kehrtwende Jesu ans Kreuz steht, ausgelöst durch den Christus-Titel, der von Petros behauptet wird (8,29).
So ist es kein Zufall, dass dementsprechend im Zentrum der Passionsgeschichte die Verleugnung eben dieses Titels durch Petros erzählt wird – sowie dessen Apostasie.
Im Zentrum der Passion stehen also nicht das Abendmahl bzw. der fragwürdige und durch die Flucht gebrochene Bund mit den Zwölfen, noch die Kreuzigung des sog. Königs der Judäer. Diese – neben der Verleugnung – wichtigsten Erzähl-Blöcke sind ihrerseits symmetrisch auf die Mitte bezogen.
In der Mitte wird mit ihren harmlosen und nur theologisch bedeutsamen Fragen an Petros ein Mädchen dargestellt; im äußeren Rahmen sind es jeweils die Frauen, die mit ihren Salbungsbemühungen das Problem des Christus-Titels zeigen, der zum Begräbnis (14,8) bzw. in ein Grabdenkmal (16,2) führt.
Im engen Rahmen um die Verleugnung werden die beiden Prozesse gegen Jesus erzählt; zunächst das Verhör der fiktiven Trias jüdischer Macht mit der Christus-Behauptung des Petros in der Frage des Oberpriesters Du bist der Christus? (14,61), danach das Verhör des Römers Pilatus, der ahnungslos fragt: Du bist der König der Judäer? (15,2).
Diese einander entsprechenden Fragen beantwortet der Jesus des Mk übrigens nicht mit Ja, ich bin der Messias der Juden. Anders, als zumeist behauptet wird, weicht Jesus beide Male aus. Anstatt den jüdischen Titel zu bestätigen, offenbart er sich den Juden als Gott (Ich bin); auf die Frage des Pilatus antwortet er nur: Sagst Du!
So steht jener Petros im Zentrum der Passionserzählung, der (als Satan, vgl. 8,33) in Jesus nur auf das der Menschen geachtet und deshalb den Christus-Titel behauptet hatte, mit seinem abgebrochenen Bekenntnis: Ich kenne diesen Menschen nicht, den ihr {...] nennt (14,71).
Im Übrigen greift Mk anspielend oder zitierend viele Traditionen auf, literarische Traditionen aus den Jüdischen Schriften, besonders aus den Psalmen (Pss 22; 69) und Jesaja (Jes 53), wie auch römische Traditionen aus dem Kaiserkult.
Die wichtigste Überlieferung entstammt freilich dem frühchristlichen Kult. Mit der sog. Herrenmahlsparadosis übernimmt Mk liturgisch überformte Worte der frühen Kirche. Insofern liegt auch ihnen kein isolierter Bericht zugrunde, etwa über eine Kultstiftung.
Die kunstvolle Konstruktion des Mk bietet keinen Raum für vergleichsweise irrelevante historische Deutungen sowie die Behauptung literarischer Vorlagen oder gar eines zusammenhängenden Passionsberichts.
Den hat es definitiv nie gegeben.
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