Ceterum censeo: Zu den Zwischen-Überschriften in den Editionen des Mk
Aktualisiert: 5. Feb.

Aus Gründen, die noch zu benennen sein werden, halte ich es für falsch, wenn in Bibel-Editionen…
…die Erzählung des Mk durch Zwischen-Überschriften zerteilt, gedeutet und verfremdet wird.
In Fachkreisen ist es durchaus üblich, die Nase über die Zwischen-Überschriften zu rümpfen, die seit einigen Jahrzehnten in die Bibel-Texte redaktionell eingezogen werden. Wie problematisch sie tatsächlich sind, soll hier anhand einiger Überschriften aus den Editionen des Mk überprüft werden.
Indem sie den Text unterbrechen, teilen sie ihn nicht nur in die liturgisch tradierten Abschnitte auf. Sie zerstückeln ihn, auch an ganz ungeeigneten Stellen.
So ist es äußerst fragwürdig, wenn in der Luther-Übersetzung nach der Überschrift des Mk (1,1) eine weitere Überschrift redaktionell nachgeschoben wird (Johannes der Täufer). Die zerstört das Changieren der grammatikalischen Struktur und deutet das nachfolgende Schrift-Zitat um, das Mk appellativisch über Johannes hinaus an die Leser:innen gerichtet hatte.
Durch Zwischen-Überschriften werden Fehldeutungen vervielfacht und verstetigt. Das ist ihr Haupt-Problem: Sie geben richtungsweisende Deutungen vor, Interpretationen, die den gewohnten Lese- und Auslegungs-Traditionen entsprechen, nicht aber den Intentionen des Mk.
Freilich war es sein episodischer Erzählstil, der die Aufteilung des Textes in kleine Abschnitte, in die sog. Perikopen, für die Leseordnungen der Liturgie überhaupt erst ermöglicht hatte. Seit je vermitteln sie den irreführenden Eindruck, sie seien isolierbare und damit ohne den Kontext aussagekräftige Erzähl-Einheiten.
Unabhängig sind sie nur von der üblichen Kapitel-Teilung aus dem frühen 13. Jahrhundert. Dass auch die sinnwidrig ist, zeigt sich besonders in der Passionsgeschichte, zuletzt in der Abtrennung des 16. Kapitels, in dem Mk bewusst keine Ostergeschichte erzählt (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-der-auferstehung).
Diesen Eindruck aber vermitteln Überschriften wie die der Lutherbibel (Die Botschaft von Jesu Auferstehung). Dass im Text von einer Auferstehung oder auch einem Aufstehen nicht die Rede ist, sondern von einer Auferweckung, genauer, von einem Aufgerichtet-Werden, ist ein wichtiger Unterschied, der nur am Rande erwähnt sei.
In allen neueren Bibel-Ausgaben sind die letzten acht Verse des Mk mit einer Überschrift versehen, so auch in der Einheitsübersetzung. Die weist auf die Frauen am leeren Grab hin, was allerdings nur der Deutung des Matthäus entspricht. Bei Mk ist das Grab nicht leer – wegen des Burschen, der sich dort wider Erwarten aufhält.
Es ist häufig zu beobachten, dass die Überschriften in den Editionen des Mk geprägt sind durch die wirkmächtigen Umdeutungen des Matthäus. Dazu zwei bezeichnende Beispiele aus dem 1. Kapitel des Mk:
Die Taufe Jesu:
Was Matthäus sehr ausführlich erzählt, wird bei Mk nur kursorisch erwähnt (1,9). Dort ist nicht die Taufe das Wichtigste, sondern das Geschehen unmittelbar danach: die Herabkunft des Geistes und die Proklamation Jesu zum Gottes-Sohn. Dies aber wird in keiner Überschrift genannt.
Die Versuchung Jesu
Die bei Mk ebenfalls nur erwähnte Versuchung durch den Satan ist bei Matthäus wiederum weit ausgeführt (Mt 4,1ff vgl. 1,13). Wird in der redaktionellen Überschrift einzig die Versuchung angegeben, so fehlt das wesentliche Pendant dazu, das auf Elias bezogene (Zu-Tisch-)Dienen der Boten (Gottes).
Am deutlichsten zeigt sich die Matthäus-Dominanz in der allseits üblichen Fokussierung auf Johannes den Täufer als den angeblichen Wegbereiter Jesu im Eingangsteil des Mk (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wer-war-johannes-der-täufer).
Sämtliche Editionen vernachlässigen mit ihren Überschriften dessen sinntragende Struktur. Die ist geprägt durch das zweimalige εγενετο (es geschah, 1,4 und 1,9), das seinerseits auf den Anfang in 1,1 zurückgreift und darüber hinaus auf den Uranfang, auf den alttestamentlichen Schöpfungshymnus (Gen 1; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-a-anfang; Das dritte εγενετο in 1,11 ist ein nachträglicher Einschub).
Jedenfalls ist das Eingangs-Thema nicht die in den Überschriften exponierte Person des Johannes, sondern die Bedeutung jüdischer Prophetie, wenn auch die Eingangs-Frage nicht ausdrücklich zur Sprache kommt: Ob die Verheißungen und prophetischen Aufträge der jüdischen Schriften bereits mit dem Auftreten des Johannes und damit vor der erzählten Zeit erfüllt sind.
Bei Mk zeichnet sich die Antwort nach und nach ab. Erst mit dem Kommen Jesu ist die Zeit erfüllt und das Königtum Gottes nahe. Doch Johannes hat den Auftrag des wiedergekehrten Elias nicht ausgeführt. Anders als erwartet, hat er nicht alles wieder hergestellt und den Weg Jesu nicht vorbereitet (9,12). Deshalb ist Jesus auch nicht der Christus, wie Petros bzw. der Satan es behauptet (8,29).
Ein allseits üblicher, aber besonders grober Eingriff ist die Überschrift nach der programmatischen Antrittsrede Jesu (1,14f). Die dadurch erzwungene Zäsur hat einen störenden Neueinsatz in 1,16 zur Folge.
Sie entspricht wohl dem Gliederungs-Bedürfnis der Ausleger:innen, die hier eine neue Sinn-Einheit sehen möchten, freilich gegen die Erzählrichtung des Mk. Der lässt Jesus zuvor nach Galiläa kommen und dann am Meer von Galiläa vorübergehen. Beides gehört zusammen.
Zudem sind die Überschriften hier auch inhaltlich unzutreffend. Die bei Luther genannte Überschrift (Die Berufung der ersten Jünger) suggeriert, dass Jesus die beiden Brüderpaare exklusiv zur Schülerschaft beruft. Das ist vom Text nicht gedeckt (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-1-16-die-netze-des-simon-und-seines-bruders). Von einer Berufung des Petros kann bei Mk keine Rede sein.
Typisch für Mk ist es, die Grenzen zwischen den Schülern, auch die Grenze zwischen den gehorsamen Nachfolger:innen und den ungehorsamen Zwölf, verschwimmen zu lassen. Aus diesem Grund ist die Überschrift der Einheitsübersetzung ebenfalls irreführend (Die ersten Jünger). Der Begriff der Jünger (bzw. der Schüler) wird erst in 2,15 eingeführt und sofort mit dem durch den Menschenfänger Petros verursachten Problem der vielen Nachfolger verknüpft.
Auch der Begriff der Heilung, der in zahllosen redaktionellen Überschriften Verwendung findet (z.B. vor 1,40), führt jeweils am Problem vorbei. Denn die angeblichen Heilungs-Geschichten sind zumeist Ungehorsams-Geschichten. Wenn die Überschrift vor der Reinigung des Aussätzigen nur auf dessen Heilung abhebt, ignoriert sie die eigentliche Pointe: Dass Jesus mit dem Patienten, der ihm doch gehorchen sollte, wegen seines Ungehorsams den Platz tauschen muss.
Fazit: An den Zwischen-Überschriften im 1. Kapitel des Mk wird bereits deutlich, dass sie dem durchaus hohen Anspruch der wichtigsten Bibel-Editionen im deutschen Sprachraum nicht standhalten. Dass die sog. Bibel in gerechter Sprache darauf verzichtet, ehrt sie, ändert aber nichts daran, dass sie wiederum dem Anspruch einer Übersetzung nicht gerecht wird.
PS: Zum Schmunzeln hier noch ein kleiner Blick in die von der Deutschen Bibelgesellschaft herausgegebene Edition des griechischen Mk-Textes mit Übersetzungshilfen (ECM, 2023), wo anstelle der Überschrift aus LUT 2017 (Jesu Taufe und Versuchung) zu lesen ist…:

Commentaires