Übersetzungsfehler in der Bibel: Die ersten Worte Jesu (Mk 1,15)
Es versteht sich von selbst: Die ersten Worte, die Mk seinem Jesus in den Mund legt, haben eine hohe programmatische Qualität. Weil ihr angemessenes Verständnis grundlegend ist, sind Umdeutungen oder gar Fehler in der Übersetzungstradition besonders fatal.
NB: Im Textausschnitt auf dem Bild fehlt die einleitende Wendung und sprach bzw. sprechend (λέγων), die in den meisten Übersetzungen zu Beginn von V. 15 angegeben ist. Da es im Rahmen dieses Blogs nicht um die Details textkritischer Fragen gehen kann, konkret: warum das asyndetische sprechend ursprünglich ist, nicht aber und sprach, geschweige denn dessen Auslassung, folgt zunächst eine wörtliche Übersetzung der sog. Antrittsrede mit dem sie einleitenden Satz (1,14f):
Nachdem aber überliefert war Johannes,
kam Jesus in die Galilaia,
verkündend die gute Nachricht Gottes,
sprechend:
Erfüllt ist die Zeit,
und nahegekommen ist die Königsherrschaft Gottes.
Denkt um und glaubt, kraft der guten Nachricht!
Die Frage ist hier, was Mk mit dieser programmatischen Rede und ihrer aufwendigen Einleitung zum Ausdruck bringen will. Dazu einige Anmerkungen in Thesenform:
1. Die meisten Übersetzungen ignorieren die Tatsache, dass der Begriff Evangelium noch keinen schriftlichen Text bedeutet. Wer ihn unübersetzt übernimmt, suggeriert damit, dass der Text des Mk seinerseits als Heils-Botschaft anzusehen sei. Das aber ist ein Fehlschluss, der schon in der lateinischen Text-Tradition angelegt ist.
2. Denn die Heils-Botschaft besteht in der inhaltlich eindeutigen Aussage Jesu, dass die Königsherrschaft Gottes nahe gekommen sei. Absurd ist es deshalb, Jesus einen Glauben an das Evangelium fordern zu lassen. Es ist typisch für Mk, die Präposition (εν) in instrumentalem Sinn zu verwenden. Jesus fordert das Vertrauen auf ihn, der bald als König herrschen wird, kraft oder auch mithilfe dieser guten Nachricht.
3. Die vorbereitende Wendung Erfüllt ist die Zeit ist auf den Anfang der Heils-Botschaft und damit auf die Prophetie des Jesaja rückbezogen. Doch die Zeit hat hier die punktuelle Bedeutung des Kairos. Insofern nimmt Mk nicht die Endzeit in den Blick, noch konstatiert er eine Zeitenwende. Er macht deutlich, dass die aktuelle Nachricht des nahen Königtums an die jüdische Verheißung unmittelbar anschließt.
4. Im Deutschen ist der Begriff des territorial konnotierten Reichs anstelle der Königsherrschaft Gottes üblich. Allerdings ist damit das Königtum - insbesondere als Herrschaftsform - nicht angemessen erfasst; es bekommt zudem jene futurisch-endzeitliche Konnotation, die ihm erst bei Matthäus mitgegeben ist (vgl. „Dein Reich komme…“, Mt 6,10).
5. Den Gedanken der universalen Herrschaft Gottes, den Mk aus den jüdischen Schriften übernimmt, bezieht er auf Jesus. Damit wendet er sich zugleich gegen den Königstitel eines Christus, der aus seiner Perspektive einem judäischen Provinz-Titel entspricht.
6. Deswegen spricht der Jesus des Mk unmittelbar danach die führenden Judäochristen an, allen voran den Petros, der später mit angemaßter Autorität den Christus-Titel behauptet. Die Anmaßung deutet Mk zu Beginn mit dem Bild des (den Mantel) Herumwerfens an (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-1-16-die-netze-des-simon-und-seines-bruders).
7. Jesus fordert wörtlich: Denkt um! Doch die christliche Tradition hat die Forderung des Sinneswandels als Aufforderung zur Buße verstanden (vgl. Vulgata: poenitemini), wie sie auch die Tauche des Johannes zu einem quasi-sakramentalen Akt umgedeutet hat, zu einer Bußtaufe (vgl. baptismum poenitentiae, 1,4). Das ignoriert den unter 5. genannten Einspruch des Mk sowie die kunstvoll angedeutete Opposition seines Jesus zu Johannes (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wer-war-johannes-der-täufer).
8. Die Aufforderung Denkt um! ist bei Mk der erste Auftrag, den Jesus an die noch ungenannten textinternen Akteure richtet - und über sie hinaus an die Leser:innen. Das ist eine Pointe bei der Frage eines Schreibers nach dem ersten Gebot, die Jesus mit dem absichtlich falsch zitierten Doppelgebot der Liebe beantwortet (12,29-31).
9. Der Aufforderung zum Vertrauen enstpricht die Aufforderung Jesu zum Misstrauen, sobald nämlich jemand sagt: Siehe, hier ist der Christus! Siehe dort! (13,21). Das Sehen eines (auferweckten) Christus ist so wenig wert wie dessen Verkündigung.
10. Mk fordert tatsächlich ein Umdenken. Jesus ist für ihn eben nicht jener (judäische) Provinz-König, wie er ausdrücklich von Petros behauptet wird. Er ist der von Jesaja beschriebene Gottesknecht (namens Chrestus), dessen paradoxe Erhöhung zum universalen König und Herrscher der Welt bald bevorsteht - durch die Aufrichtung am Kreuz (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-der-sog-auferstehung).
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